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Das frühneuzeitliche deutsche Reich als politisches Referenzsystem des amerikanischen Förderalismus im Entstehungsprozess der USA (1751-1788)

Subject Area Early Modern History
Term from 2009 to 2014
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 102631349
 
Final Report Year 2014

Final Report Abstract

Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens stand die auf der Grundlage eines umfangreichen Quellenmaterials durchgeführte Untersuchung der grundsätzlichen Frage, ob und inwiefern das frühneuzeitliche deutsche Reich als das älteste, größte und bedeutendste föderativ verfasste Gemeinwesen der Vormoderne als Referenzsystem des im 18. Jahrhunderts entstehenden Bundesstaates der Vereinigten Staaten von Amerika gedient hat. Gerade weil amerikanische und europäische Historiker schon entsprechende Nachforschungen zu den beiden anderen frühmodernen europäischen Föderationen - die Sieben Provinzen der Vereinigten Niederlande oder die 13 Kantone der schweizerischen Eidgenossenschaft - mit Blick auf ihre Bedeutung in den Debatten amerikanischer Föderalisten durchgeführt hatten, das deutsche Reich dabei aber als föderales politisches System weitgehend außer Acht geblieben und bis auf einen wichtigen Hinweis von Helmut Neuhaus^^ nicht in den Blick der historischen Wissenschaft gelangt war, sollte nunmehr ein wichtiges Desiderat der Frühneuzeitforschung beseitigt werden. Im Projektverlauf ist nun als Ergebnis klar erkennbar geworden, dass das frühneuzeitliche deutsche Reich schon seit den 1690er Jahren erstmals in den Schriften von William Penn, dann aber vor allem und in immer stärkerer und bedeutenderer Weise in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle als Referenzsystem in den amerikanischen Verfassungsdiskussionen gespielt hat. Dieser Befund ist nicht nur als Korrektiv einer amerikanischen Geschichtsschreibung bedeutsam, die den Föderalismus gerne als US-amerikanisches Eigengewächs der 1780er Jahre beschreibt. Auch für den Blick auf die Verfassung des deutschen Reiches in der Frühen Neuzeit ergeben sich ganz ungewohnte Perspektiven. Denn während wir uns heute schwer tun, das politische Gebilde des älteren deutschen Reiches überhaupt auf einen Begriff zu bringen - obwohl selbst Pufendorf das Reich ja doch auch eindeutig als „Foedus" auswies, also als Bund - war es für William Penn, Stephen Hopkins, Benjamin Franklin, Thomas Jefferson, Alexander Hamilton und James Madison jederzeit klar, dass das Reich eine föderale politische Ordnung war. Sie alle hatten Montesquieus Schrift über den „Geist der Gesetze" gelesen, in denen der französische Staatsphilosoph - der das Reich auf einer ausgedehnten Reise in den Jahren 1728 und 1729 aus eigener Anschauung kennengelernt hatte - Deutschland als „republique federative d'Allemagne" beschrieb. Die amerikanischen Befürworter einer föderativen Union der britischen Kolonien Nordamerikas, die wie Franklin und Jefferson^'* zum Teil auch selbst durchs deutsche Reich gereist und an Montesquieu geschult waren, hatten nun die Bedeutung der föderalen Reichsverfassung als Referenzsystem für die von ihnen zu bewältigende politische Problematik voll erkannt. Sie waren sich einig in der Auffassung, dass man sich nicht nur mit den Niederlanden und der Schweiz, sondern eben vor allem auch mit der Verfassung des frühneuzeitlichen Reiches auseinandersetzen musste, um eigene verfassungsrechtliche Standpunkte überhaupt erst präzise bestimmen zu können. Dabei erfüllte der Verweis auf das Alte Reich in den sich rasch und grundlegend wandelnden historischen Kontexten der Amerikanischen Revolution durchaus ganz unterschiedliche Funktionen. Deutlich machen dies insbesondere zwei Fallbeispiele: Diente das Reich nämlich in den 1760er Jahren vor allem dazu, den Herrschaftscharakter des britischen Empire zu definieren, um daraus Rechte für die Kolonien in ihrem Widerstand gegen die als illegitim betrachtete Stempelsteuer abzuleiten, so diente das Alte Reich in den späten 1780er Jahren in erster Linie der Klärung der Frage, welche Form des Föderalismus in den USA gewollt war. Diese konstitutionelle Selbstvergewisserung war ein gewichtiger Bestandteil der Diskussionen der Constitutional Convention von 1787 und ein nicht minder bedeutsamer Part der Debatten der Ratifizierungsversammlungen, die zwischen 1787 und 1788 in den amerikanischen Einzelstaaten tagen. Diese konstitutionelle Selbstvergewisserung lief dann zwar am Ende auf den in den Federalist Papers zur Schau gestellten kompletten Bruch mit Theorie und Geschichte des europäischen Föderalismus hinaus, da dessen strukturelle Schwächen in dem als exzeptionell erfahrenen amerikanischen Experiment in Demokratie zum Segen der Menschheit ein für alle Mal überwunden werden sollten. Doch wenn die Gründer der amerikanischen Demokratie damit durchaus einen Habitus der Ursprungslosigkeit des amerikanischen Föderalismus kultivierten, so verdeckt das nur, wie angestrengt sie sich ihre eigenen Positionen in der Auseinandersetzung mit den föderalen Ordnungen Europas im Verlauf des 18. Jahrhunderts - vor allem in dessen zweiter Hälfte - erst diskursiv erarbeiten mussten. Zugespitzt lässt sich sogar sagen, dass die Tradition des deutschen Föderalismus gerade in seiner Ablehnung und Überwindung durch die Amerikaner präsent war und noch immer ist. So stellt sich am Ende die überraschende Frage, ob die amerikanischen Verfassungsdebatten von 1787/88 - anders als die amerikanischen Föderalismusdiskussionen in den Jahrzehnten zuvor - nicht der eigentliche Ursprungsort der Verdrängung der in unserer Projektarbeit belegten, engen Verflechtung mit der europäischen Föderalismustradition gewesen sind.

Publications

  • Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit (München: C. H . Beck, 2009)
    Johannes Burkhardt
  • Friedrich der Große und George Washington. Zwei Wege der Aufklärung, (Stuttgart: Klett-Cotta 2011; 2. Aufl. 2012)
    Jürgen Overhoff
  • Charles Louis de Montesquieu, Meine Reisen in Deutschland, 1728-1729 (Stuttgart: Cotta 2014)
    Jürgen Overhoff (Hg.)
  • Geschichte der USA, (Stuttgart: Kohlhammer, 2014)
    Volker Depkat
 
 

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