`Sicher`im Alltag. Deutsch-englische Fallstudien zum Verhältnis von Alltagskommunikation und -erfahrung und gegenwärtigen Sicherheitsdiskursen.
Final Report Abstract
In einem exemplarischen Forschungsfeld in England sowie vergleichend in Deutschland geht das Forschungsprojekt den Einschreibungen neuer Sicherheitsdiskurse in alltägliche Milieus nach. Eine subjekt- und prozessorientierte, ethnografische Feldforschung erforschte die Kontexte des alltäglichen Redens und Erzählens über die Verunsicherungen des täglichen Lebens sowie die kollektiven Strategien, Praxen und Rituale lebensweltlicher Sicherheit und dokumentierte die visuelle und diskursive Implementierung gouvernementaler Sicherheitsrhetoriken im Alltagsraum. Anhand der breitangelegten Sichtbarmachung institutioneller Anforderungen von Sicherheit und Verantwortung (in Beschilderungen, Warnzeichen etc.) kann ‚Sicherheit‘ (‚security‘) als „leerer Signifikant“ im Sinne von Laclau analysiert werden. Eine historische Begriffsklärung beleuchtet die Genese eines auf wirtschaftliche Kalkulation und Berechenbarkeit abgestellten Verständnisses von ‚Sicherheit‘ und den Prozess der Subjektivierung bürgerlich-individualisierter (Selbst-)Verantwortung ab der Frühen Neuzeit. In mittelschichtsgeprägten Nachbarschaften als Kontakt- und Verhandlungsräumen zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit wird nachvollziehbar, wie die Naturalisierung neuer polizeilicher und administrativer Reglements an alltäglichen Sicherungsbedürfnissen von Gesundheit und Familie und an einer Mentalität gemeinschaftlicher Verantwortlichkeit ansetzen kann – an denselben Aspekten, die über die individuelle und narrativ vermittelte Alltagserfahrung auch Potenziale von Widerspruch und Widerstand eröffnen. Hier liegt ein wesentlicher Gewinn des Forschungsprojekts, das es ermöglicht, das Foucault’sche Konzept der „Sicherheitsgesellschaft“ – „dieser Installierung der Sicherheitsmachanismen, [...] einer politischen Technik, die sich an das Milieu richtet“ – auf ebendiese Milieus und auf die Erfahrung ihrer Alltagssubjekte zurück zu beziehen (Foucault). Während die Gouvernementalitätstheorie von der geschlossenen Logik der Sicherheits- und Sichtbarkeitsregime her „der vom Individuum erfahrenen biographischen oder ‚narrativen‘ Identität“ kaum Durchsetzungschancen einräumen kann (Hempel /Krasmann/Bröckling), öffnet der empirische, alltagsweltliche Perspektivenwechsel den Blick auf ein ambivalentes Diskurs- und Konfliktfeld, das durchaus unterschiedliche Ausblicke auf zukünftige Entwicklungen zulässt. Die neuen Sicherheitspolitiken ebenso wie die widersprüchlichen Verhandlungen zwischen institutionellen und alltagsweltlichen Arenen basieren auf der dem Sicherheitsbegriff inhärenten Paradoxie, die unter den Bedingungen der Sicherheitsgesellschaft immer weiter hochgeschraubt wird. So lässt die Durchdringung aller Alltagsbereiche mit den Anforderungen vollständiger ‚Sicherheit‘ immer mehr Risiken zutage treten; die Folge ist eine Atmosphäre der Verdächtigung und Verunsicherung, der Zuspitzung immer neuer Zwangslagen und dabei auch eine Erfahrung der Absurdität, die vor allem in der britischen Gesellschaft zunehmend als solche thematisiert wird. Da die alltagsweltliche Erforschung von ‚Sicherheit‘ in der Europäischen Ethnologie und Empirischen Kulturwissenschaft erst am Anfang steht, bietet das Projekt vielfältige Anschlussmöglichkeiten für weitere vergleichende Alltagsuntersuchungen.
Publications
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(2011): Securing Community. Alltägliche Kommunikation in der Sicherheits- und Präventionsgesellschaft. In: Dollinger, Bernd /Schmidt-Semisch, Henning (Hg.): Gerechte Ausgrenzung? Wohlfahrtsproduktion und die neue Lust am Strafen. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 167-186
Katharina Eisch-Angus
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(2011): “You Can't Argue with Security.” The Communication and Practice of Everyday Safeguarding in the Society of Security. In: Behemoth. A Journal on Civilisation 4 (2011) 2, S. 83-106
Katharina Eisch-Angus
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(2012): Tägliche Verunsicherung: Übersetzungsprozesse zwischen Alltagserfahrung und neuen Sicherheitsdiskursen. In: Keinz, Anika /Schönberger, Klaus /Wolff, Vera (Hg.): Kulturelle Übersetzungen. Berlin: Dietrich Reimer-Verlag, S. 198-222
Katharina Eisch-Angus