Die anderen Könige. Der Königsbegriff als sozialer Ordnungsbegriff in Frankreich und Deutschland am Ende des Mittelalters (13.-16. Jh.)
Final Report Abstract
Werden Begriff und Konzept von „König“ und „Königtum“ heute vorwiegend in einem engeren politischen Sinne gebraucht und verstanden, so war dies im ausgehenden Mittelalter anders. Neben den bekannten ‚politischen‘ Königen existierten hier noch zahlreiche ‚andere‘ Könige. Sie standen als Amtskönige Berufsgruppen vor und führten Genossenschaften an oder wurden im Rahmen wiederkehrender Zeremonien und Bräuche zu Festkönigen gekrönt. Spielleute, Prostituierte und Händler hatten ebenso ihre Könige wie Bogenschützen und Adelsgesellschaften. In der bisherigen Forschung wurde diese Verwendungsvielfalt des im politischen Bereich oft sakral überhöhten Königsbegriffs, wenn überhaupt, meist nur als kuriose Randerscheinung oder als eine Form des Spotts oder der rituellen Verkehrung wahrgenommen. Als ernst zu nehmende historische Phänomene wurden die ‚anderen‘ Könige bisher nur selten betrachtet. Ziel des Projektes war es daher, das Phänomen der ‚anderen‘ Könige an ausgewählten Beispielen systematisch zu untersuchen, es in die größeren Entwicklungslinien der kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen des ausgehenden Mittelalters zu verorten und damit für die Auseinandersetzung mit der spätmittelalterlichen Gesellschaft fruchtbar zu machen. In einer zwischen Deutschland und Frankreich vergleichenden Studie sollte dabei insbesondere nach dem Verhältnis zwischen diesem freien Gebrauch des Königstitels und dem politischen Königtum gefragt werden. Da der Untersuchungsgegenstand eng am Rande der Schriftlichkeit stand und sich meist nur in disparaten Einzelbelegen in sehr diversen Einzelkontexten manifestierte, war zunächst ein langwieriger Aufbau einer belastbaren Quellenbasis notwendig. In deren Auswertung jedoch konnten die Einzelphänomene dann neu datiert und kontextualisiert werden. So lässt sich festhalten, dass das Phänomen mit dem König Tafur als einem Vorläufer der rois des ribauds erstmals am Anfang des 12. Jahrhunderts zu fassen ist, seine Hochphase im 14. und 15. Jahrhundert erlebt, jedoch auch im 18. Jahrhundert zum Teil noch nachweisbar ist. Bisher wurden diese verschiedenen Verwendungen des Königsbegriffs reflexartig als auf das politische Königtum bezogen verstanden und interpretiert. Das Projekt hingegen konnte zeigen, dass der Königsbegriff, zumindest bis in das 16. Jahrhundert hinein, wohl weitgehend unabhängig vom politischen Königtum funktionierte. Hinweise auf eine ironische Brechung im Gebrauch des Titels gibt es nicht. Die Amtskönige standen ganz unterschiedlichen Gruppen und Metiers vor und übernahmen hier administrative Funktionen, ohne dass es direkte Verweise auf das politische Königtum z.B. in der Verwendung bestimmter Insignien oder Anreden gab. In diesem Zusammenhang bezeichnete der Begriff ‚König‘ wohl allein einen Anführer oder Aufseher einer bestimmten Gruppe. Die Festkönige ihrerseits verwiesen vorrangig auf die religiöse Bedeutung des Königstitels und damit auf Christus als König. Dass einige der Amtskönige im Laufe des 16. Jahrhunderts (und hier vor allem in Frankreich) verschwanden, hatte unterschiedliche, meist wirtschaftliche und rechtlich-politische Gründe. Ein konzertiertes Vorgehen gegen diese ‚Könige‘, wie in der älteren Literatur bisweilen gemutmaßt, lässt sich nicht nachweisen. Was sich jedoch zeigen lässt, ist ein Wandel des Königsbegriffes in dieser Zeit, der wohl erst hier jene vorrangig politische Konnotation erhielt, die ihn bis heute prägt. In Anbetracht dessen und der neuen Perspektiven, welche das Projekt auf die soziale Verfasstheit der spätmittelalterlichen Gesellschaft eröffnete, lässt sich im Ergebnis danach fragen, welcher Stellenwert dem Politischen in der mittelalterlichen Kultur und Gesellschaft tatsächlich zukam und inwieweit das Primat des Politischen in der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Mittelalter seine Berechtigung hat.
Publications
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Les ›autres‹ rois. Études sur la royauté comme notion hiérarchique dans la société du Bas Moyen Âge et du début de l’Époque Moderne, München 2010 (Ateliers, 5)
Torsten Hiltmann
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Zwischen Spott und Frömmigkeit. Spätmittelalterliche Festkönige und das Paradigma der Verkehrung, in: Dominik Fugger (Hg.), Verkehrte Welten? Forschungen zum Motiv der rituellen Inversion (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Beiheft 60), München 2013, S. 171-191
Torsten Hiltmann
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Die Gewalt des Königs. Politische Kultur in alternativen sozialen Ordnungen, in: Jörg Rogge, Martin Kintzinger (Hgg.), Gewalt und Widerstand in der politischen Kultur des späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 80), Ostfildern 2015, S. 51-80
Torsten Hiltmann