Konfuzius als Ahne. Clan und Kult des Konfuzius im politischen und gesellschaftlichen Wandel Chinas vom späten Kaiserreich bis heute
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Untersuchung fokussiert auf die Entwicklung des Konfuziuskultes im 20. Jahrhundert, seine politischen und gesellschaftlichen Funktionen sowie die Rolle des Kong-Clans unter den neuen sozialen Bedingungen seit der Xinhai 辛亥- Revolution (1911). Der Konfuziuskult entstand ursprünglich aus einer populären Bewegung, und seine Form lehnte sich einerseits an den Ahnenkult der Konfuzius-Nachfolger, andererseits an das Shidian 释奠-Ritual, das seit der Zhou-Zeit an die verblichenen Weisen gerichtet war, an. In der Westlichen Han- Zeit wurde der Konfuzianismus zur Staatsideologie erhoben, so dass sich in den folgenden zweitausend Jahren ein vom Kaiser veranlasstes offizielles Kultsystem für Konfuzius und seine Schüler sowie andere bedeutende konfuzianische Gelehrte entwickelte. Mit dem Zusammenbruch des chinesischen Kaiserreiches verlor der Konfuziuskult seinen Status als Staatskult, existierte jedoch in der chinesischen Gesellschaft weiter, wenn auch in anderen Formen. So wurde ein sogenannter „Geburtstag“ für Konfuzius in der Republik festgelegt und als nationaler Feiertag eingerichtet. Heute feiert man in China sowohl auf dem Festland als auch auf Taiwan diesen Tag in einer halb offiziellen und halb populären Art und Weise: die lokale Regierung finanziert das Fest, an dem Politiker, Mitglieder des Kong- Clans und Interessierte aller Art und unterschiedlichster Motivationen beteiligt sind. Das Opferritual wird auch seinen heutigen vielfältigen Funktionen entsprechend weitergehend popularisiert und modernisiert. In diesem neuen Rahmen gibt der Kong-Clan seine Funktion als Hauptträger des Opferrituals auf, obwohl er weiterhin enge Kontakte mit den politischen Machthabern pflegt. Die Struktur der traditionellen Clanorganisation - wie sie in alten genealogischen Büchern niedergelegt ist - zerfällt allmählich, und daraus entsteht eine neue soziale Organisation, die die aktuellen Machtverhältnisse der Clanmitglieder widerspiegelt. Als Schlussfolgerung lässt sich die Ausgangshypothese, dass die Bedeutung des Konfuzianismus bzw. seine Bedeutungslosigkeit eine direkte Folge der politischen Anerkennung, Implementierung oder Ächtung sei, und die gegenwärtige Wiederbelebung der Opferrituale für Konfuzius aus der politisch gewollten Sinnsuche im post-sozialistischen China stamme, nur teilweise bestätigen. Das Forschungsergebnis des Projektes weist daraufhin, dass weder die politischen Machthaber noch die Mitglieder des Kong-Clans die eigentlichen Initiatoren und Antreiber der Wiederbelebung des Konfuzianismus‘ und des Konfuzius-Kultes in der modernen Zeit sind. Vielmehr besteht ein Bedarf für den Wiederaufbau und die Weitergabe der konfuzianischen Tradition in der chinesischen Gesellschaft, die sich parallel zur Revolution und Modernisierung auch nach einem indigenen Wertsystem sehnt. Unter dem Motto des kulturellen Nationalismus‘ wird zwischen Chinesen auf dem Festland, auf Taiwan und auf der ganzen Welt eine Art von kultureller Allianz geschlossen, die in den hundert Jahren nach der Xinhai-Revolution die Politik immer wieder zur Rückbesinnung auf eigene Werte und Traditionen Chinas auffordert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Deguo chuanjiaoshi yanzhong de Qufu Kong miao yu shidian yishi“ (Konfuzius-Tempel und das Opferritual in den Augen deutscher christlicher Missionare), in: Proceedings of the World Conference „Shijie de Kongzi: Kong miao yu sidian“, Taipei 2010, pp. 166-186
Xiaobing Wang-Riese
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„Lun fei wuzhi wenhua yichan benzhenxing de hengliang biaozhun. Yi jikong dadian wie li“ (Über die Maßstäbe der Authentizität des immateriellen Kulturerbes. Am Beispiel der Opferzeremonie für Konfuzius), in Wenhua Yichan (Kulturerbe), 4/2010, S. 8-17
Xiaobing Wang-Riese