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Konsensfiktion "Selbstbestimmung" - am Beispiel von Interaktionen zwischen dementen Menschen und professionellen Pflegekräften

Subject Area Empirical Social Research
Term from 2010 to 2012
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 154215598
 
Final Report Year 2013

Final Report Abstract

Die Notwendigkeit, die Äußerungen demenzkranker Menschen zu verstehen bzw. ihnen einen nachvollziehbaren Sinn abzugewinnen, wird besonders virulent vor dem Hintergrund des auch im Bereich der Pflege zunehmend nachdrücklich proklamierten Selbstbestimmungsgebotes. Hiervon betroffen ist auch das Selbstbestimmungsrecht von Personen, deren Autonomiemöglichkeiten zum Teil massiv eingeschränkt sind, wie z.B. im Falle von Demenz. Beruflich Pflegende sollen die Betroffenen neben anderem darin unterstützen, ein trotz des eingetretenen Autonomieverlustes möglichst selbstbestimmtes Leben führen zu können. Gerade sie sind gleichzeitig aber auch mit der Unbestimmtheit in der Verständigung mit demenzkranken Menschen dauernd konfrontiert – wie umgekehrt auch demenzkranke Menschen selbst die Grenzen ihrer Verständigungsmöglichkeiten regelmäßig zu spüren bekommen dürften. Wenigstens hinlängliche Verständigung scheint aber eine grundlegende Voraussetzung dafür zu sein, die Selbstbestimmung demenzkranker Bewohner, die durch die eingetretene Hilfebedürftigkeit zu einer wesentlich interaktiven Angelegenheit wird, zu ermöglichen. Was genau Selbstbestimmung aber eigentlich bedeutet, bleibt trotz der steigenden Bedeutung, die dem Begriff auch im Bereich der Pflege zukommt, unklar. Insbesondere bleibt unklar, was der Anspruch auf Selbstbestimmung für die – ganz alltäglichen – Situationen, in denen er umgesetzt werden soll, bedeuten kann. Im vorliegenden Projekt wurde deshalb der Frage nachgegangen, was Selbstbestimmung, in interaktiven Vollzügen gedacht, in jeweils unterschiedlichen Hilfekontexten bedeuten kann und welches (wenn auch mehr oder weniger unspezifische) Selbstbestimmungsverständnis dem jeweils zugrunde liegt. Durch die ethnographisch angelegte Studie konnte aufgezeigt werden, dass Pflegekräfte es zwar einerseits als Belastung empfinden, die Selbstbestimmtheit von Bewohnern gegen deren ausdrücklichen Widerstand einzuschränken. Andererseits liegt es nicht in ihrem Aufmerksamkeitsfokus, die Selbstbestimmtheit von Bewohnern selbst in Situationen, in denen es durchaus machbar wäre, zu fördern. Wünsche von Bewohnern werden in der Regel dann berücksichtigt, wenn erstens keine der als übergeordnet angesehenen Ziele – also körperlich-leibliches oder hygienisches Wohl der Bewohner, ihre körperliche Unversehrtheit oder arbeitsorganisatorische Erfordernisse – dem entgegenstehen, wenn es zweitens für die Pflegekräfte relativ unkompliziert zu erschließen ist, was der jeweilige Wunsch beinhaltet. und wenn der Wunsch, drittens, im Rahmen der Arbeit verhältnismäßig mühelos zu erfüllen ist – soll heißen, wenn keine Bemühungen notwendig sind, die die jeweils bewährten Arbeitsroutinen irritieren oder unterminieren würden. Treffen die genannten Bedingungen nicht zu, dann müssen die jeweiligen Anliegen unberücksichtigt bleiben – mit je nachdem unterschiedlichen Implikationen: Entweder ist die Wirkung im betreffenden Moment – zumindest was das beobachtbare Verhalten angeht – unspektakulär, weil sich kein Protest beim Bewohner regt, oder es regt sich Protest, sodass Techniken von „List und Improvisation“ angewandt werden, mit der Absicht, ihn zum jeweils gewünschten Verhalten zu bewegen, bis hin letztlich zur offenkundigen, aktiven Einschränkung des Willens von dementen Bewohnern.

Publications

  • (2011): „Selbstbestimmung“ im Kontext von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit – Zum Begriff einer Fiktion. In: Pflegewissenschaft 02/2011, S. 69-78
    Lakshmi Kotsch und Ronald Hitzler
 
 

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