Die soziale Ordnung des Sexuellen. Rekonstruktion der erzählten Lebensgeschichte von Bisexuellen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt hat Bisexualität als biografisches Phänomen in den Blick genommen. Die zentrale Frage dabei war: Wie rekapitulieren Bisexuelle, unter gesellschaftlichen Bedingungen einer exklusiven Konstruktion von Homo- und Heterosexualität, ihre Erfahrungen mit Sexualität? Als Ergebnis der Studie lässt sich zwischen der Einbettung von Bisexualität in den biografischen Verlauf als Prozess oder Tatsache unterscheiden, die zwei Typen der biografischen Konstruktion eines bisexuellen Selbst darstellen. Eine Ressource ist im Fall des ersten Typs die Möglichkeit einer flexiblen Anpassung an biografische Situationen, als problematisch stellt sich die potenzielle Brüchigkeit des bisexuellen Selbst dar. Dagegen kommt es beim zweiten Typus zu einer Naturalisierung von Bisexualität, die eine stabile Selbstkonstruktion ermöglicht, jedoch zu einem Mangel an empfundener Handlungsmacht führen kann. Beide biografischen Konstruktionen von Bisexualität bringen in unterschiedlicher Weise ihre paradoxe Position in der sozialen Ordnung des Sexuellen zum Ausdruck. Die biografische Konstruktion des bisexuellen Selbst als Tatsache ist ein Typus, der im vorgelegten Sample wesentlich breiter vertreten ist. In diesem Fall wird Bisexualität als erweiterte Natur des Körpers biografisiert. Die bipolare sexuelle Ordnung wird zur Basis einer bisexuellen Positionierung, wodurch sie einen gewissen Grad an Stabilisierung erfährt, gleichzeitig erweist sie sich als nicht ,ausreichend' und wird durch die doxische Gewissheit einer ,bisexuellen Natur' erweitert. Mit Blick auf diese Entwürfe des bisexuellen Selbst erscheint die These, Bisexualität könne das Potenzial aufweisen, das starre System heteronormativer sozialer Ordnung (mit integrierter Abweichung Homosexualität) und das dieses System begründende und zugleich ihm folgende Konstrukt einer streng zweigeschlechtlich organisierten Welt kreativ unterwandern, als zu undifferenziert. Die soziale Ordnung des Sexuellen, wesentlich geprägt durch institutionalisierte Heterosexualität und hierarchische Zweigeschlechtlichkeit, stellt nicht zu hintergehende Rahmenbedingungen für die untersuchten Biografien dar. Dennoch wird die bipolare sexuelle Ordnung der Gesellschaft keineswegs nur erlitten, sondern in vielen Fällen kreativ genutzt. Bisexualität ist damit nicht nur durch die soziale Ordnung des Sexuellen strukturiert, sondem sie ist immer auch eine eigensinnige biografische Aneignung durch das bisexuelle Selbst. Die durchgeführte Studie stellt einen Vorschlag zur Diskussion bereit, der dieser Mehrdimensionalität spätmoderner Sexualverhältnisse gerecht wird. Sie vertritt eine methodologische und theoretische Perspektive in der sozialwissenschaftlichen Sexualforschung, die für die Transformationen spätmodemer Sexualitätsverhältnisse sensibel ist, aber ebenso die Beharrungskraft sexueller Ordnung, auch in ihrer leiblichen Dimension, fassen möchte. Dies gelingt nicht zuletzt durch eine Analyse von Sexualität, welche die Vorannahme der Kohärenz und Eindeutigkeit von Begehren, sexueller Praxis und sexueller Selbstbeschreibung stets hinterfragt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2012): Bisexualität als Überschuss sexueller Ordnung. Eine biografieanalytische Fallstudie zur sexuellen Selbstwerdung. In: Zeitschrift für Sexualforschung, 25(4): 314-338
Kemler, Eva/ Löw, Martina/ Ritter, Kim
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(2012): Bisexuelle Lebensgeschichten in der späten Moderne. In: BiJou - Bisexuelles Journal 26, S. 29-33
Ritter, Kim
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(2013): Vielfalt und Repräsentation. Über den Bedeutungsverlust der symbolischen Mitte. In: Soziologie. 42 (1), 29-41
Löw, Martina