Kulturgeographie des Medienumbruchs analog/digital
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt hat untersucht, inwiefern und auf welche Weise sich Kulturgeographie in Mediengeographie transformiert und kehrseitig Kultur-/Medienwissenschaften ihren Raumbezug redefinieren. Das Ergebnis lautet, dass diese Konvergenzbewegung mit Entwicklungstendenzen der Medienkultur nach dem digitalen Medienumbruch zu tun hat, genauer: mit der Herausbildung global-lokativer Medienpraxen, die durch die Ausbreitung von Medienlokalisierungstechnologien (GPS, WLAN etc.) und der Implementierung von Geobrowsern (Google Earth) ermöglicht wurden. Aus Sicht der Kultur- und Medienwissenschaft lässt sich dadurch eine Reterritorialisierung von Medien, aus Sicht der Kulturgeographie eine Remedialisierung von Raum und Ort konstatieren. Beide Entwicklungen sind kennzeichnend für den Phänomenbereich der Geomedien, der durch das Paketprojekt medientheoretisch und phänomenologisch definiert wurde. Im Sinne der Erarbeitung eines historischen wie systematischen Konzeptes von Geomedialität konnte gezeigt werden, dass die Ambiguität von Ortsmedien und Medienorten, die durch Geomedien umfasst wird, durch wechselseitige Signifikanz und Mobilität gekennzeichnet ist. Sie markiert ein zentrales Charakteristikum der zusehends algorithmisierten Bild-Zeichenkonstruktion: Einerseits verleiht ein Ort einem Bild seine Signifikanz, andererseits ist es ein Bild, das einen Ort bedeutungstragend werden lässt. Beide Dimensionen – die von Locative Media und Mediated Localities – sind für den übergeordneten Begriff der Geomedien konstitutiv und lassen unterschiedliche Formen der Mobilität erkennen: Während lokative Medien in Anwendung von Augmented-Reality-Browsern darauf ausgerichtet sind, in Bewegung Bilder von Bewegungen vor Augen führen, sind es die Geobrowser wie Google Earth, die Bewegungen in scheinbar ‚feststehenden‘ Bildern selbst offenbaren. In der medienwissenschaftlichen Konsequenz dieses ikonographischen algorithmic turn wird daher eine doppelte Mobilität zur Diskussion gestellt: die Mobilität von und in Bildern. Diese doppelte Mobilität hat sich als zentrales Charakteristikum der drei Korpora erwiesen: (1) der Laienkartographie im Social Web (Neogeography), (2) der mobilen Kartographie anhand von Navigationssystemen; (3) der Globalraumsimulation durch Geobrowser. (1.) Die Neogeographie macht deutlich, dass Karten keine ontologische Sicherheit in sich tragen. Das Medium der Papierkarte verbarg lediglich all die Institutionen, Fähigkeiten, Konventionen und Instrumente, derer es sich verdankt, während das Digitale die einzelnen Mediationsschritte innerhalb einer Kartenproduktionskette transparenter hervortreten lässt. Das durch die Neogeographie entstandene neue kartographische Bewusstsein verdankt sich nicht den digitalen Technologien allein, sondern vor allem dem Wissen um die Präsenz technologie-konstituierender Netzwerke, die zunehmend durch Softwareprodukte und -prozesse bestimmt werden. ‚Softwareisierung‘ führt dazu, dass Techniken zur Inhaltsproduktion in den Medien und die Interfaces für den Zugang zu Medien von ihrer materiellen Basis entkoppelt und in der Weise zu Software transformiert, dass Hybride entstehen, die nicht mehr ohne Weiteres entflochten werden können. Insbesondere anhand der emergierenden ‚App-Kultur‘ mobiler Medien zeigt sich, dass eine „Googleisierung des Raumes“ beobachtet werden kann: Eine Durchsuchbarkeit und ein ‚Umherwandern‘ (deambulation) von Personen, Dingen und Zeichen mit Referenz zu einem impliziten Geocode. Dass mobile Geomedienanwendungen als unhintergehbare Praxen der alltäglichen Konstitution von Realität aufgefasst werden können, die das Verhältnis von technischer und sozialer Vernetzung grundlegend erneuern, hat das Forschungsprojekt (2.) auch historisch belegen können, bspw. im Vergleich von Photo-auto Guides (1907-1909) und Augmented-Reality-Navigation-Apps heute. Die Analyse von Navigationssystemen zeigt, dass Geomedien uns zugleich mit alten und neuen Kulturtechniken konfrontieren und sich weniger durch eine Analog/Digital-Differenz auszeichnen. Dies macht eine veränderte Mediengeschichtsschreibung notwendig: Bislang wurden in der Mediengeschichte und -theorie Medien als etwas Stillstellendes angesehen, die etwas Mobiles (Daten) prozessieren und an sich binden (speichern). Die Etablierung mobiler Medien erlaubt stattdessen, Daten (Software) als etwas Gegebenes anzusehen, die Medien (Hardware) mobilisieren. Aus dieser Perspektive erscheint konsequenterweise das Mobile als etwas Vorgängiges und das Stationäre als Übergangsstadium. Aus informationstheoretischer Perspektive ist dieses Übergangsstadium eine fortwährende Hervorbringungsleistung und manifestiert sich insbesondere an der Sozio- und Kulturtechnik des Rasters. Bereits die Analyse frühester Computerpraktiken zeigt, dass digitale Raster in der Lage sind, ein ‚kommunikatives Terrain‘ für Information zur Verfügung zu stellen. Dies lässt sich (3.) anhand der Navigationsprotokolle von Google-Earth-Nutzern belegen. Der zu einer Methodologie geographischer Visualisierungen weiterentwickelte softwaregestützte Analyse- und Theorieansatz zeigt, dass die Google-Earth-Navigatoren im Zuge ihrer virtuellen Raumerkundungen immer wieder in die allozentrische Perspektive zurückkehren und die kartentypische Nordung wiederherstellen. Auch in der Welt der Globalraumsimulation ‚herrscht‘ der flache Raum des geographischen Koordinatensystems.
Publications
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Mapping by Ourselves: Towards a Media History of Geomobility, in: Proceedings of the International Symposium on Electronic Art, Istanbul
Thielmann, Tristan
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„Cartographies of Digital Fiction: Amateurs Mapping a New Literary Realism“, in: The Cartographic Journal, Special Issue: Cartographies of Fictional Worlds, 2011, Vol. 48(4), S. 237−249
Richterich, Annika
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A propos du mapping en critique littéraire de Nagel à Piatti“, in: Florent Gabaude/Véronique Maleval/Marion Picker (Hrsg.): Géographie poétique et cartographie littéraire, Limoges, S. 149-167
Döring, Jörg
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Dwelling in the Web: Towards a Googlization of Space, HIIG Paper Series No. 3, Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin 2012
Thielmann, Tristan/van der Velden, Lonneke/Fischer, Florian/Vogler, Robert
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Geobrowsing Behavior in Google Earth – A semantic Video Content Analysis of On-screen Navigation, in: Jekel, Thomas/Car, Adrijana/Strobl, Josef/ Griesebner, Gerald (Hrsg.): GI_Forum 2012. Geovisualization, Society and Learning, Berlin/Offenbach 2012, S. 2-13
Abend, Pablo/Thielmann, Tristan/ Ewerth, Ralph/Seiler, Dominik/Mühling, Markus/ Döring, Jörg/Grauer, Manfred/Freisleben, Bernd
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Taking into Account. Harold Garfinkels Beitrag für eine Theorie sozialer Medien, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Heft 6 (Nr. 1/2012), S. 85-102
Thielmann, Tristan