"To speak with one voice"? Europeanization in intergovernmental policy areas. The case of the European Political Cooperation (EPC), 1970-1981
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt widmete sich der 1970 entstandenen Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) – Vorläuferin der heutigen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU – die eine völlig neuartige Form kollektiver Diplomatie darstellte. Die zentralen Fragestellungen lauteten, ob sich durch die Herausbildung neuer Formen außenpolitischer Zusammenarbeit, verdichteter Kommunikationsstrukturen und das Auftreten neuartiger Akteure im Rahmen der EPZ ein Wandel von Politikinhalten, Entscheidungsstrukturen, Handlungsformen und Wahrnehmungsmustern von Außenpolitik im europäischen ‚Mehrebenensystem‘ vollzogen hat, welcher zu einer Europäisierung von Außenpolitik führte, und ob dadurch die EPZ eine über die intergouvernementale Zusammenarbeit hinausreichende, nicht-intendierte Integrationsdynamik entfaltete. Die Untersuchung konzentrierte sich auf die vier EPZ-Mitgliedstaaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Großbritannien und die zwei Fallstudien Afrika- und Mittelmeerpolitik, die in den 1970er Jahren im Mittelpunkt der EPZ standen. Unter Europäisierung wurde ein reziproker Prozess verstanden, der sowohl die europäische Ebene erfasst, d.h. die Entstehung europäischer Politik durch Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene, als auch die Rückwirkungen auf die nationale Ebene durch die transnationale Zusammenarbeit zwischen den EPZ-Mitgliedstaaten. Zugleich wurde der in der Politikwissenschaft vielfach verwendete und bislang einer einheitlichen und oftmals auch eindeutigen Definition entbehrende Europäisierungsbegriff dahingehend enger und präziser gefasst, dass, um von Europäisierung im Bereich von EPZ zu sprechen, zwei Komponenten vorliegen müssen: Sozialisierung und Handlungsergebnis. Sozialisierung stellt eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Europäisierung dar, da aufgrund des Fehlens eines Anpassungsdrucks ‚von oben‘, wie er in den supranational strukturierten EG/EU-Politikbereichen vorhanden ist, Veränderungen in intergouvernementalen Politikbereichen, wie der EPZ, nur über dauerhafte Internalisierung von europäischen Normen, Werten und Zielen erfolgen kann. Europäisierung liegt gemäß der Definition des Projektes dann vor, wenn die Sozialisierung der beteiligten Akteure in den EPZ-Gremien zu einem entsprechenden Handlungsergebnis führt, d.h. zu einem Wandel nationaler Außenpolitik in dem Sinne, dass sich bislang bestehende Präferenzbildungsprozesse von nationalen Bezügen lösen zugunsten gemeinsamer europäischer außenpolitischer Normen, Werte und Entscheidungen. Aufgrund der ausgewerteten Daten, d.h. der Dokumente aus den nationalen Außenministerien und den EPZ-Dokumenten, war es möglich, die Sozialisierungskomponente zu erfassen. Und nur unter Berücksichtigung der Sozialisierungskomponente wird die in der Europäisierungsforschung zu beobachtende Beschränkung auf Ergebnisse aus öffentlichen Dokumenten mit ihrer begrenzten Aussagekraft aufgehoben und werden eindeutige Kausalerklärungen unter Ausschluss möglicher konkurrierender Erklärungen erst möglich. Europäisierungsprozesse wurden im Rahmen des Projektes sowohl auf Ebene der Politikinhalte als auch auf Ebene der administrativ-institutionellen Ebene untersucht. Als wichtigste Ergebnisse lassen sich festhalten, erstens, dass kaum Sozialisierungsprozesse festzustellen waren und solche überwiegend auf die Ebene der Arbeitsgruppen beschränkt blieben; zweitens, dass somit auch nur begrenzt Europäisierungeffekte zu verzeichnen waren und diese sich fast ausschließlich auf die administrativ-institutionelle Ebene und die thematische Schwerpunktverlagerung bezogen. In keinem der untersuchten Fälle kam es zu einer grundlegenden Änderung der Politikinhalte aufgrund der EPZ-Zusammenarbeit. Von daher muss die zunächst plausibel erscheinende und von Beteiligten wie auch Wissenschaftlern wiederholt behauptete Sozialisierung der Akteure und Europäisierung der Außenpolitik durch die EPZ, die den Ausgangspunkt des Forschungsprojektes bildete, stark relativiert werden. Dementsprechend entfaltete die EPZ wie auch die spätere GASP auch nur in eingeschränktem Maße eine über die intergouvernementale Zusammenarbeit hinausreichende, nicht-intendierte Integrationsdynamik.
Publications
- „To speak with one voice“? Großbritannien, die EPZ und der Fall Zypern, 1974/75, in: Michaela Bachem-Rehn/Claudia Hiepel/Henning Türk (Hg.): Teilungen überwinden. Europäische und internationale Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Wilfried Loth, München 2014, S. 531-564
Gabriele Clemens
- Europäisierung britischer Außenpolitik? Großbritannien und die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ), in: Christian Schweiger (Hg.): Drifting towards the Exit? Taking Stock of Britain’s EU Membership after 40 Years (= Schriftenreihe des Arbeitskreises Deutsche England-Forschung, Bd. 70), Augsburg 2015, S. 151-162
Gabriele Clemens
- Belgian Foreign Policy and the Cold War: The Impact of European Political Co-operation in the 1970s, in: Dutch Crossing 40/1 (2016), S. 81-92
Alexander Reinfeldt
(See online at https://doi.org/10.1080/03096564.2016.1129196) - Belgien und Europa. Zur Rolle belgischer außenpolitischer Akteure in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), 1970-1981, in: Sebastian Bischoff/Christoph Jahr/Tatjana Mrowka, Jens Thiel (Hg.): Belgica – terra incognita? Resultate und Perspektiven der Historischen Belgienforschung, Münster 2016, S. 214-223
Alexander Reinfeldt
- The Quest for Europeanization / Die Suche nach Europäisierung:
Interdisciplinary Perspectives on a Multiple Process / Ein komplexer Prozess in interdisziplinärer Perspektive (Sammelband mit Beiträgen des 2015 veranstalteten Symposiums), Steiner, 2017. 256 S. (Studien zur modernen Geschichte, Band 63) ISBN 978-3-515-11636-7
Gabriele Clemens (Hg.)