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Pulsation und Mikrorhythmik. Metrische Timing-Patterns in fünf Musikkulturen Westafrikas (Mali und Ghana)

Antragsteller Dr. Rainer Polak
Fachliche Zuordnung Musikwissenschaften
Förderung Förderung von 2010 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 186108581
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Etablierte Rhythmustheorien beschreiben temporales Gleichmaß (Isochronie) als Voraussetzung für die Empfindung metrischer Pulsation. Ungleiche Grundschlagsunterteilung (swing timing) wird als rhythmisch-performative, individuell expressive Abweichung vom metrischisochronen Raster interpretiert. Ein Vorgängerprojekt analysierte computergestützt das Timing von Mehrspur-Aufnahmen perkussiver Tanzmusik aus Mali (Djembe- Musik). Typologisch diverse, aber repertoirespezifisch invariante Swing-Timings zeigten ein hohes Maß an Konsistenz über diverse rhythmische Figuren, Ensemble-Parts, Tempi, Personalstile und andere Faktoren hinweg. Das Projekt entwickelte die Hypothese eines metrisch-normativen Status von Swing-Timings und untersuchte die Plausibilität, Struktur, Verbreitung und Bedeutung swing-basierter Metren in Westafrika. Herkömmliche Musikanalysen und computergestützte Analysen des Performance-Timings systematisch angelegter Mehrspur-Audio-Korpora zweier malischer Musikformen zeigten, dass zwei Ebenen nicht-isochroner Pulsation ineinander verschachtelt auftreten können (Percussion-Ensemble- Musik der Bambara und Khasonka). Dies deutet auf referentielle Funktion und hierarchische Struktur hin, zwei typische Merkmale musikalischer Metren. Die Untersuchung eines Nachwuchsensembles zeigte, dass Swing-Timing eine musikalische Grundfertigkeit darstellt, und nicht etwa eine besondere Fertigkeit von Spezialisten. Ein kontrolliertes Laborexperiment belegte, dass malische Instrumentalisten und Tänzerinnen die originalen Timing-Patterns präferieren und artifizielle Manipulationen umso schlechter bewerten, je stärker sie strukturell von den Originalen abwichen. Eine deutsche Kontrollgruppe zeigte dagegen keine klaren Präferenzen. Eine statistische Korpusanalyse demonstrierte, dass die Stabilität und Präzision der Synchronisation von Ensemblemitgliedern in malischer Perkussionsmusik extrem hoch ist und dabei swing-basierte Stücke nicht hinter jenen mit isochroner Subdivision zurückfallen. Abschließend überprüfte das Projekt die Möglichkeit kategorialer Wahrnehmung strukturell ungerader, metrischer Subdivisionen mittels eines Tapping-Experiments (senso-motorische Synchronisation). Malische Versuchspersonen nutzten eine rhythmische Kategorie „leicht ungerade“, die zwischen „gerade“ (1:1) und „ungerade“ (2:1) angesiedelt ist. Für bulgarische und deutsche Versuchspersonen liegt dagegen zwischen 1:1 und 1:2 nichts, was stabile Orientierung geben könnte; für sie fallen „ungerade“ und „leicht ungerade“ Rhythmen zusammen. Dies verweist auf die Erlernbarkeit und mögliche Kulturspezifität rhythmischer Wahrnehmungskategorien und lässt die Theorie swing-basierter Metren aus kognitionspsychologischer Sicht plausibel erscheinen. Andererseits zeigte das kulturvergleichende Experiment auch, dass andere Kategorien der Rhythmuswahrnehmung kulturübergreifend identisch zur Verfügung stehen. Die Aktivierung der kulturspezifischen Wahrnehmungskategorie „leicht ungerade“ setzt die musikalisch aufwändige Ausgestaltung und kognitive Fokussierung eines perzeptuellen Raumes voraus, der durch die universell verbreiteten und perzeptuell hoch wirksamen, angrenzenden Kategorien „gerade“ (1:1) und „ungerade“ (1:2) ausgesprochen eng begrenzt ist. Der timing-analytische Vergleich von fünf musikalischen Traditionen in Mali und Ghana ergab, dass auch die kulturräumliche Verbreitung swing-basierter Metren begrenzt ist. Ihre Prominenz erstreckt sich auf die Sahel- und Savannenzone, nicht jedoch auch auf die Wald- und Küstenzone Westafrikas. Wir haben es in kulturvergleichender Hinsicht mit einer hochgradig speziellen Form und im weltweiten Maßstab wohl selten genutzten Möglichkeit metrischer Struktur zu tun. Dies schmälert allerdings nicht ihre binnenkulturelle Relevanz und regionalstilistische Typikalität für diverse musikalische Traditionen in Mali und seinen Nachbarländern.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2016) Kulturelle Diversität in der empirischen Rhythmusforschung. Drei Analysen eines Audio-Korpus von Percussion-Ensemblemusik aus Mali. ZGMTH (Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie [Journal of the German-Speaking Society of Music Theory]) 13 (2
    Polak, Rainer; Jacoby, Nori; London, Justin
    (Siehe online unter https://doi.org/10.31751/908)
  • (2017) Perception and Evaluation of Timing Patterns in Drum Ensemble Music from Mali. Music Perception 34 (4) 438–451
    Neuhoff, Hans; Polak, Rainer; Fischinger, Timo
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1525/mp.2017.34.4.438)
  • (2017) Rhythm histograms and musical meter: A corpus study of Malian percussion music. Psychonomic bulletin & review 24 (2) 474–480
    London, Justin; Polak, Rainer; Jacoby, Nori
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3758/s13423-016-1093-7)
  • (2018) The lower limit for meter in dance drumming from West Africa. EMR (Empirical Musicology Review) 12 (3-4) 205
    Polak, Rainer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.18061/emr.v12i3-4.4951)
  • (2015) Pattern and Variation in the Timing of Aksak Meter: Commentary on Goldberg. Empirical Musicology Review 10(4)
    Polak, Rainer
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.18061/emr.v10i4.4883)
  • (2016) Both isochronous and non-isochronous metrical subdivision afford precise and stable ensemble entrainment: A corpus study of Malian jembe drumming. Frontiers in Neuroscience, 10, 285
    Polak, Rainer, Justin London, and Nori Jacoby
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3389/fnins.2016.00285)
  • (in press): Non-isochronous meter is not irregular. A review of theory and evidence. In: Marcus Aydintan, Florian Edler, Laura Krämer und Roger Graybill (Hg.): Proceedings of the Annual Meetings of the Gesellschaft für Musiktheorie 2015, Berlin. Hildeshei
    Polak, Rainer
 
 

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