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Geographien sozialer Angst - die Schweinegrippe als globalisiertes Angstereignis

Subject Area Human Geography
Term from 2010 to 2015
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 186439511
 
Final Report Year 2016

Final Report Abstract

Ausgangspunkt des Projektes war die Frage nach dem Ursprung und Verlauf eines globalen Angstereignisses. Als Beispiel wurde die H1N1-Pandemie von 2009-2010 gewählt. Am Beginn der Forschung standen zwei empirische Feststellungen: 1) Ohne wissenschaftliche Untersuchungen und Visualisierungen hätte die Welt von der Pandemie nichts gewusst, 2) ein und dasselbe Ereignis (hier: Ausbruch der Schweinegrippe) wird zwar global wahrgenommen, führt aber lokal zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Ziel des Projektes war es, für beide Feststellungen nach den Ursachen und Mechanismen zu suchen, die diese gesellschaftlichen Phänomene hervorbringen. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Produktion und Verbreitung von Wissen nicht zufällig passiert. Die grundsätzliche Annahme, dass ein Ereignis wie eine Pandemie sich von selbst in das gesellschaftliche Bewusstsein rückt, ist falsch. Es sind eine Reihe von medizinischen und epidemiologischen Untersuchungen notwendig sowie ein großes Netz der Berichterstattung, damit eine „unsichtbare" Bedrohung wie ein Virus gesellschaftlich erfasst und verstanden werden kann. Daneben spielen aber auch noch andere gesellschaftliche Entwicklungen eine zentrale Rolle. Die Schweinegrippe-Pandemie war die erste Pandemie, von der man wusste, bevor sie wirklich stattfand. Bereits nachdem nur in zwei Ländern (Mexiko, USA) Infektionen nachgewiesen waren, wurde die Welt von einer bevorstehenden Pandemie informiert. Danach konnte man in Echtzeit die globale Ausbreitung beobachten und miterleben. Diese Besonderheit hat bestimmte gesellschaftliche Ursachen und Auswirkungen. Die Ursachen der „Echtzeit-Pandemie" liegen neben dem medizinisch-technologischen Fortschritt in einer Militarisierung des amerikanischen Gesundheitswesens. Nachdem die Budgets für öffentliche Gesundheit in den USA seit den 1980er Jahren immer wieder drastisch gekürzt wurden, fanden Wissenschaftler einen anderen Weg um an Finanzierung zu kommen. Insbesondere gelang ihnen dies, indem sie Militärs, Journalisten und Politiker von der Gefahr überzeugten, die von ansteckenden Krankheiten für die innere Sicherheit ausgingen. Diese „Versicherheitlichung" von ansteckenden Krankheiten hat zu großen Fortschritten in der Früherkennung von Epidemien geführt. Die Auswirkungen sind vielfältig und komplex. Zu beobachten ist insgesamt eine gesellschaftliche Überforderung im Umgang mit Risiken, die grundsätzlich alle betreffen. Die durch Früherkennung möglichen langen Vorlaufzeiten führen nicht immer und überall zu besonnenen und koordinierten Reaktionen auf die jeweilige Bedrohung. Im Falle der Schweinegrippe, um nur einige im Kontext der Bedrohung problematische Reaktionen zu nennen, gab es Diskriminierungen von mexikanischen Staatsbürgern, Importverbote für Schweinefleisch sowie die Tötung eines nationalen Schweinebestands (Ägypten). Für die Zukunft wird es nötig sein, dass Gesellschaften einen reflexiven Umgang mit akuten Gefahrensituationen entwickeln, von denen man bereits in der Frühphase ihrer Entstehung weiß. Überraschend ist die Bedeutung des Militärs und der militärischen Abläufe im amerikanischen Gesundheitsweisen. Für die beteiligten Akteure ist dies selbstverständlich. Von „Außen" ist dies aber kaum wahrnehmbar und erschließt sich nur durch empirische Forschung vor Ort.

Publications

  • 2011): Making life safe. Biosicherheit als Gegenstand geographischer Forschung. In: geographische revue 13 (1- 2),73-92
    Everts, J. & Füller, H.
  • (2012): Schweinegrippe, Ehec, Ebola: Gesellschaftliche Ängste im Zeitalter der Globalisierung. In: Praxis Geographie 42 (12), 47-52
    Everts, J. & Conrad, D.
  • (2013): Announcing swine flu and the interpretation of pandemic anxiety. In: Antipode 45 (4), 809-825
    Everts, J.
  • (2013): Anxiety and risk: pandemics in the 21st century. In: Müller-Mahn, D. (Hg.): The Spatial Dimension of Risk: How Geography Shapes the Emergence of Riskscapes. Routledge: London, 82-96
    Everts, J.
  • (2014) Biosicherheit und Pandemievorsorge. Ausbrüche erkennen und verorten. In: Geographische Rundschau 66 (9), 24-29
    Füller, H. & Everts, J.
  • (2015): Invasive life, communities of practice, and communities of fate. In: Geografiska Annaler: Series B, Human Geography 97 (2), 195-208
    Everts, J.
    (See online at https://doi.org/10.1111/geob.12074)
  • (2015): Pangaea' s return: towards an ontology of invasive life. In: Geografiska Annaler: Series B, Human Geography 97 (2), 131-138
    Everts, J. & Benediktsson, K.
    (See online at https://doi.org/10.1111/geob.12069)
  • (2016): Connecting Sites: Practice Theory and Large Phenomena. In: Geographische Zeitschrift 104 (1), 50-67
    Everts, J.
 
 

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