Kinderbilder im schulischen Kontext der DDR. Analyse der Lehrerzeitschrift "Die Unterstufe"
Final Report Abstract
Seit spätestens Beginn des 20. Jahrhunderts fungiert die Berufung auf das „Kind“ als wirkungsmächtiger Topos und damit als „zentrale Figur gesellschaftlicher Auseinandersetzung“. Dies galt mit Blick auf die zweigeteilte Geschichte Deutschlands nach 1945 im besonderem Maße, da in der BRD wie der DDR die zukünftigen Staatsbürger und damit gleichzeitig die Vertreter bzw. Verfechter zweier konkurrierender politischer Systeme jeweils systemkonform erzogen werden sollten. Die zentrale Rolle spielte hierbei die schulische Bildung und Erziehung der nachwachsenden Generation. Maßgeblich hing diese von der professionellen pädagogischen und didaktischen Gestaltung des Unterrichts ab und lag demgemäß in der Verantwortung der Lehrer bzw. mit spezifischem Blick auf die ersten Schuljahre in der DDR im professionellen Zuständigkeitsbereich der Unterstufenlehrer. In Orientierung an dieser Ausgangslage widmete sich die Untersuchung dem Professionswissen über Unterstufenschüler, das an die Unterstufenlehrer in der DDR herangetragen wurde. Hierzu war folgende Forschungsfrage untersuchungsleitend: Welche Wissensvorräte über Unterstufenschüler vermitteln die ausgewählten Artikel der Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“ im Untersuchungszeitraum und welche auf verschiedenen Kontextebenen auffindbaren Bedingungen und Ereignisse stehen in welchem Zusammenhang mit diesen Wissensvorräten? Mit dem Ziel, dieses Wissen in einer gesamtgesellschaftlich bewegten sowie schulpolitisch wichtigen Phase zu erheben, fokussierte das Projekt den Zeitraum von 1954 bis 1964, da sich hier über verschiedene Zwischenschritte und Umwege eine neue Schulkonzeption entwickelte, die dann gegen Ende des Untersuchungszeitraumes beständig etabliert wurde. Als Quellenkorpus diente im Laufe der Untersuchung die Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“, die das zentrale Periodikum mit Monopolcharakter für die Unterstufenlehrer darstellte. Innerhalb dieses Periodikums wurde unter methodologischer Perspektive in Anlehnung an Pocock (u.a. 1987) die „langue“ über Unterstufenschüler im diachronen Verlauf erhoben, die sich aus der Summe der in den Zeitschriftenartikeln enthaltenen „paroles“ ergab. Wissenschaftstheoretisch konnte die Summe der „paroles“ zudem als geteilter Wissensvorrat interpretiert werden, der dezidiert an die Profession der Unterstufenlehrer herangetragen wurde – ob die Lehrer diesen auch in ihr eigenes Wissen aufnahmen, war dabei nicht von Relevanz. Die methodische Umsetzung dieser metatheoretischen Grundannahmen zur Erschließung der Fragestellung erfolgte mit Hilfe der Historischkontextualisierenden Inhaltsanalyse, die Erkenntnisse zur zeitschrifteninternen „langue“ inklusive ihrem diachronen Wandel mit kontextualen Entwicklungen im Gesamtgefüge erhebbar und interpretierbar macht. Im Sinne eines knappen Einblicks in zentrale Untersuchungsergebnisse konnte zusammenfassend ein im Untersuchungszeitraum diachron starker Wandel innerhalb der zeitschrifteninternen „langue“ festgestellt werden, der über deutliche Wandlungsprozesse in den drei Perspektiven auf Schüler als „schulleistungsbezogen Lernende“, „gesellschaftsorientiert Agierende“ und „spielend Aktive“ beschreibbar war. Interpretierbar waren diese zeitschrifteninternen Wandlungsprozesse als Widerspiegelung eines kontextualen facettenreichen Wechselspiels zwischen der Dominanz pädagogischer bzw. schulleistungsorientierter und politischer bzw. gesellschaftsorientierter Vorstellungen über Unterstufenschüler innerhalb des analysierten Kontextes. Letztlich führte dieses Wechselspiel zu einer Art zeitschriftenintern wie kontextual geteilten Kompromisslösung, bei der politische Idealvorgaben nur durch die Erreichung pädagogischer Ziele für die Schüler umsetzbar wurden. Diese in der Zeitschrift abgebildete Zwischenlösung wurde mit Blick auf kontextuale Entwicklungen v.a. dadurch möglich, dass sich die Zeitschrifteninhalte von sowjetischen Vorgaben in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraumes distanzierten und sich in der DDR weitgehend einheitliche Grundannahmen über Unterstufenschüler etablierten, die sowohl aus pädagogischer sowie aus politischer Perspektive vertretbar erschienen.
Publications
- (2012): Kinderbilder im Kontext der Unterstufe in der DDR. Analyse der Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“. In: Einsiedler, W.; Götz, M.; Ritzi, C. & Wiegmann, U. (Hrsg.): Grundschule im historischen Prozess. Zur Entwicklung von Bildungsprogramm, Institution und Disziplin. Bad Heilbrunn, 217-257
Vogt, M.
- (2013): Professionspublizistik unter den politischen Systembedingungen der DDR anhand der Zeitschrift „Die Unterstufe“. In: Grunder, H.-U.; Hoffmann-Ocon, A. & Metz, P. (Hrsg.): Netzwerke in bildungshistorischer Perspektive. Bad Heilbrunn, 154-160
Vogt, M.
- (2014): Professionswissen über Unterstufenschüler in der DDR. In: Zeitschrift für Grundschulforschung, 7, H.1, 153-167
Vogt, M. & Götz, M.
- Schulwissen für und über Kinder – Historische Rekonstruktionen. In: Kopp, B.; Martschinke, S.; Munser-Kiefer, M. u.a. (Hrsg.) (2014): Individuelle Förderung und Lernen in der Gemeinschaft. Jahrbuch Grundschulforschung, Bd. 17. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, 81-93
Vogt, M.; Stöcker, K. & Götz, M.
- (2015): Professionswissen über Unterstufenschüler in der DDR. Untersuchung der Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“ im Zeitraum 1954 bis 1964. Bad Heilbrunn
Vogt, M.