Deutungsmuster "Wachkoma". Eine projektfokussierte Trajektanalyse
Final Report Abstract
Insgesamt ging es uns in unserer Studie darum, die vielfältigen intersubjektiv zugänglichen Wissensbestände zu rekonstruieren, die sich unter dem populären Begriff „Wachkoma“ subsummieren lassen. Im Zentrum unseres Forschungsinteresses stand dabei die Frage, ob und ggf. wie (d.h. aufgrund welcher Indizien und Indikatoren) ‚man‘ erkennen zu können meint, ob ‚man‘ es bei einem Menschen im sogenannten Wachkoma mit „menschlichem Gemüse“, mit einem „Hirnstammwesen“ oder mit einem Akteur, einem Subjekt, einer Person oder womöglich mit irgendetwas ‚dazwischen‘ zu tun hat. Kurz: Wir haben gefragt, wie, wann und warum einem Menschen im Wachkoma von wem attestiert wird, er sei ein Anderer, ein zumindest zu Reaktionen (auf Reize) oder ein gar zu (basalen) Interaktionen fähiges ‚Gegenüber‘ . Dabei ging und geht es uns insbesondere darum, die praktischen Konsequenzen von subjektiven Interpretationen, (teil-)konsensuellen Definitionen und normativ aufgeladenen Deutungen jenes aus dem medizintechnologisch ermöglichten Überleben schwerster Hirnschädigungen resultierenden Zustandes zu registrieren und zu rekonstruieren, der populär als „Wachkoma“ bezeichnet wird. Ausgehend von der zentralen Annahme der Wissenssoziologie, dass Menschen, die Wissen generieren, stets in bestimmten sozialen Zusammenhängen stehen, die jeweils in die Prozesse des Erkennens und in den Inhalt des Erkannten oder Gewussten eingehen, ergaben sich naheliegender Weise Fragen wie die, a) welche Deutungsmuster von Wachkoma mit welchen Positionierungen im sozialen Raum korrelieren, ob b) die Positionierungen ‚erklären‘, dass die positionierten Akteure bestimmte Deutungsmuster haben, oder ob c) bestimmte Deutungsmuster zu bestimmten Positionierungen führen bzw. diese evozieren, und schließlich: d) wie ‚trennscharf‘ Differenzen von Konstellationen sozialräumlicher Positionierungen sind bzw. welche Übereinstimmungen sich über die verschiedenen Argumentationslinien des Deutungsmusters „Wachkoma“ hinweg identifizieren lassen. Dementsprechend ist es uns im Wesentlichen darum gegangen, Antworten zu finden dazu, a) was welche Arten von Akteuren woher wissen, wenn von „Wachkoma“ (oder einem Synonym) die Rede ist, b) welche Arten von Implikationen und Konnotationen sie jeweils mit diesem Thema in Bezug worauf verbinden und c) welche beiläufigen und absichtlichen, direkten und indirekten praktischen Konsequenzen aus dem Komplex dieses Wissens welche Arten von Akteuren mit welchen Begründungen ziehen.
Publications
- (2012): Die rituelle Konstruktion der Person. Aspekte des Erlebens eines Menschen im sogenannten Wachkoma [44 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 13(3), Art. 12
Hitzler, Ronald
- (2013): Wie das Bewusstsein (der einen) das Sein (der anderen) bestimmt. Über ungleiche Lebensbedingungen von Menschen im Wachkoma. In: Berli, Oliver/Endreß, Martin (Hrsg.): Wissen und soziale Ungleichheit. Weinheim, Basel: Beltz Juventa 2013, S. 240-259
Hitzler, Ronald/Grewe, Henny A.
- (2015): Kommunikation von Schmerzen bei ‚nicht-kommunikativen‘ Patienten. In: Bozzaro, Claudia/Eichinger, Tobias/di Maio, Giovanni (Hrsg.): Leid und Schmerz: Konzeptionelle Annäherungen und medizinethische Implikationen, Herder, 2015. S. 391-409. 9783495487389
Pahl, Jessica
- Die unerbittliche Gegenwärtigkeit der Vergänglichkeit des Körpers. Zur Entsinnung eines Menschen im sogenannten Wachkoma. In: Keller, Reiner/Meuser, Michael (Hrsg.): Alter(n) und vergängliche Körper. Wissen, Kommunikation und Gesellschaft (Schriften zur Wissenssoziologie). Springer VS, Wiesbaden, 2017, pp 255-275
Grewe, Henny A./Hitzler, Ronald
(See online at https://doi.org/10.1007/978-3-658-10420-7_12) - Leben lassen – Sterben machen. Zum Umgang mit Menschen mit schwersten Hirnschädigungen. In: Kahl, Antje/Knoblauch, Hubert/Weber, Tina (Hrsg.): Transmortalität. Organspende, Tod und tote Körper in der heutigen Gesellschaft. Weinheim/Basel: Beltz Juventa (2017): 170-194
Hitzler, Ronald