Den >>Wirkstoff<< im Visier. Das Forschungsparadigma in der Biologischen Chemie Adolf Butenandts, 1926 bis 1972
Final Report Abstract
Adolf Butenandt (1903-1995) war die prägende Gestalt der deutschen Biochemie. Seine wichtigste Forschungsleistung betraf die Strukturaufklärung der menschlichen Sexualhormone, für die er 1939 den Chemienobelpreis erhielt. In späteren Jahren wurde er zum einflussreichen Wissenschaftsmanager und -Politiker. Besonders als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft konnte er von 1960 bis 1972 Weichen stellen. Butenandts wissenschaftliche Laufbahn verlief ohne Bruch durch fünf politische Systeme hindurch. Seine zugleich grundlegende und anwendungsrelevante Forschung verschaffte ihm - im nationalsozialistischen Deutschland genauso wie später in der Bundesrepublik - Zugang zur Industrie und direkte Beziehungen zur Politik. Der Anwendungsbezug war dem Leitkonzept seiner Forschung eingeschrieben, denn Butenandt interessierte sich für »Ergone« bzw. »natürliche Wirkstoffe«. Zu dieser mittlerweile aufgegebenen Kategorie zählte man zeitgenössisch Substanzen, die auf biologischem Wege gebildet werden und bereits in geringsten Mengen wichtige physiologische Veränderungen auslösen, v.a. Hormone, Vitamine und Enzyme. Sie galt es zu isolieren, zu charakterisieren und zu synthetisieren, um sie dann möglichen therapeutischen Anwendungen zuzuführen. Nachdem Butenandt seit Ende der 1920er Jahre wirkstoffchemische Forschungsstrategien erprobt hatte, entwickelte er Mitte der 1930er Jahre ein übergeordnetes theoretisches Konzept, das den Wirkstoffen nicht nur die zentrale Rolle in der Biochemie zuwies, sondem »Leben« insgesamt als geregeltes Zusammenwirken von Vorgängen betrachtete, die durch Wirkstoffe ausgelöst würden. 1936 übernahm Butenandt mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Biochemie eine der wichtigsten Einrichtungen seiner Disziplin; sein Vorgänger Carl Neuberg war aufgrund der NS-Rassenpolitik entlassen worden. Butenandt etablierte hier nun ein breites Spektrum an Experimentalsystemen, die sich mit den unterschiedlichsten, aber allesamt als »Wirkstoff« charakterisierten Substanzen befassten. Sie bildeten zusammen die wirkstoffchemische Experimentalkultur, die auch unter den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs expandierte, das Kriegsende schadlos überdauerte und die Forschung am umbenannten MPI für Biochemie noch über ein Jahrzehnt vollständig dominierte. Im Verlaufe der folgenden Jahre wurde zunächst die Verbindlichkeit des Ansatzes aufgehoben. Später trat er, ohne je ganz zu verschwinden, mehr und mehr in den Hintergrund. Die Bedingungen der Etablierung wie Ablösung dieser Experimentalkultur waren vielfältig. Die inhaltliche Entwicklung der durchgeführten Forschungen war keinesfalls ausschließlich in ihrer theoretischen Logik begründet, doch stärkte das Vorhandensein eines theoretischen Überbaus durchgängig den Willen, die Forschung in dessen Sinne zu gestalten. In unterschiedlichen Phasen waren aber auch andere, jeweils unterschiedliche Faktoren für die inhaltliche Ausrichtung der Projekte von besonderer Bedeutung. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Entstehung des bestens ausgestatteten und weitbekannten Instituts, das Butenandt später die Möglichkeiten zur Etablierung seiner Experimentalkultur bot, stand in engem Zusammenhang mit den Bedürfnissen des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg. Im Zweiten Weltkrieg stärkte die Hoffnung, die Wirkstoffe für die Kriegführung nutzbar zu machen, die Position des Instituts und seines Forschungsansatzes sehr. Auch im Frieden waren die nationale Selbstverortung der Forscher und ihre Selbstwahrnehmung, in einem Konkurrenzkampf mit anderen Nationen zu stehen, wiederholt dafür ausschlaggebend, dass bestimmte Forschungsrichtungen eingeschlagen wurden. Sehr häufig führte die Eigenlogik von Experimentalsystemen zu unvorhergesehenen Ergebnissen und bisweilen, etwa im Falle der Biochemie der Augenfärbung von Insekten, unbeabsichtigt, aber doch dauerhaft aus der Wirkstoff-Kultur heraus. Auch der blinde Zufall beeinflusste inhaltliche Entwicklungen immer wieder stark. All diese Faktoren ergaben sich aus konkreten historischen Situationen und widersetzen sich einer Verallgemeinerung. Generalisierbar ist dagegen die These, dass wissenschaftlicher Wandel in der Regel weder monokausal noch gesetzhaft, sondern im strengen Sinne nur historisch zu erklären ist Er ist demnach das Ergebnis eines Geflechts unterschiedlichster Einwirkungen, unter denen Ideen, Theorien und Interpretationen aber mehr Aufmerksamkeit verdienen, als ihnen in manchen aktuellen wissenschaftshistorischen Ansätzen zuteilwird.
Publications
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Biochemistry in Wartime. The Life and Lessons of Adolf Butenandt, 1936-1946, in: Minerva. A Review of Science, Learning and Policy (44) 2006, S. 285-306
Achim Trunk
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Krakau, 7. 9. 2006: An Early Concept of Gottfried Wilhelm Leibniz Regarding Medicine. European Society for the History of Science, 2nd International Congress
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Vancouver, 4. 11. 2006: A Triple »Pseudo« Project? Non-Existent Enzymes as Tools in Racial Research Conducted on Auschwitz Inmates. History of Science Society, Annual Meeting
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Köln, 27. 10. 2007: Experimentalkultur und wissenschaftlicher Wandel in der Biologischen Chemie Adolf Butenandts. Universität zu Köln, Post-Dok-Plattform Neuere/Neueste Geschichte I
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Wien, 21. 3. 2007: »Paradigma« und »Innovation« am Kaiser-Wilhelm-lnstitut für Biochemie. Universität Wien, Initiativkolleg »Naturwissenschaft in der Geschichte«, Öffentlicher Vortrag
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Zweihundert Blutproben aus Auschwitz. Ein notorisches Forschungsvorhaben und die Frage nach dem Beitrag Adolf Butenandts, in: Acta Historica Leopoldina (48) 2007, S. 9-40
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Oranienburg, 17. 5. 2008: Die Wirkungen der Giftgase. Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien u. Bundeszentrale für politische Bildung, Internationale Tagung »Massentötungen durch Giftgas in nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern«
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Krzyzowa/Kreisau (Polen), 29. 9. 2009: Toxikologie, Technologie und Topographie des Massenmordes in Auschwitz. Fundacja Krzyzowa dla Porozumienia europejskiego, Polsko-niemieckie spotkanie studentow Wroclaw-Siegen/Dt.-polnische Studierendenbegegnung Siegen-Breslau
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Two Hundred Blood Samples from Auschwitz. A Nobel Laureate and the Link to Auschwitz, in: Susanne Heim, Carola Sachse u. Mark Walker (Hg.), The Kaiser Wilhelm Society under National Socialism, Cambridge/Mass. 2009, S. 120-144
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