Giftdiskurse in Film- und Wissenschaftsgeschichte: Das Giftmotiv im Spielfilm
Final Report Abstract
Das Vorkommen des Motivs wurde innerhalb der Filmgeschichte recherchiert, empirisch nachgewiesen und analysiert. Dabei wurde eine Vielzahl bislang unbeachteter Filme entdeckt, interpretiert, in ihrer Ästhetik und Dramaturgie gewürdigt und in die breitere Perspektive des Giftdiskurses eingebracht. Bereits bekannte Filme wurden einer neuen Betrachtung unterzogen, denn zu keinem dieser Filmbeispiele aus dem klassischen Kino existieren Texte, die auf die Spezifika des Giftmotivs eingehen. Es konnten Film-Interpretationen erstellt werden, die Bedeutungsebenen erschließen, die ohne Berücksichtigung des Giftmotivs blind geblieben werden. Auch konnten die historischen Phasen, in denen das Motiv schwerpunktmäßig auftritt, nachgewiesen und historisch eingeordnet werden. So unterscheidet sich der Umgang mit Gift als Diffamierung weiblicher Selbständigkeit in den 1940er Jahren vom Bild für Bedrohungsszenarien in den 1910er Jahren. Dort sind es Tyrannen, nicht zu bewältigende Leidenschaften und Phänomene der Moderne, die in den Zusammenhang des Gifts gebracht werden. Kontaminationsängste (Kommunismus, atomare Gefahr im Kalten Krieg), alle Arten von schleichenden Bedrohungen bedrohen durch Gift im Action- und Science-Film seit den 80er Jahren, je nach gegenwärtigen Erfordernissen. Die Grundannahmen des Antrags wurden dabei bestätigt. Es konnte gezeigt werden, dass das Giftmotiv im Spielfilm, obwohl es bisher kaum beachtet wurde, zentrale Strukturen des Mediums spiegelt und konkretisiert, und zwar insbesondere a) die Problematik gebrochener Gender-Rollen im Sinne einer ‚Abjektifizierung‘ sowohl weiblicher Ermächtigung als auch männlicher Abhängigkeit/Unselbständigkeit, sowie b) das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. a) War eine der grundlegenden Erkenntnisse der feministischen Filmtheorie die, dass im klassischen Kino weibliche Subjektivität keinen Raum findet, bzw. ihre Möglichkeit strukturell ausgeschlossen ist, so zeigt die Analyse des Giftmotivs hierzu Fluchtwege auf. In der Figur der Giftmörderin, ebenso wie in der des – immer effeminierten – Giftmörders werden in der Entstellung und im Misslingen Konzepte prekärer Subjektivität repräsentiert. b) Gift braucht immer ein Medium, das zum Teil stereotyp inszeniert ist und gerade dadurch auf das Sichtbarkeitsproblem verweist. Ebenso werden Bilder zum Transport / zur Kommunikation des Gifts gefunden, die das Giftige auf Bildelemente und technische Mittel verschieben, vor allem über die Gestaltung von Farbwerten. Dadurch werden zentrale Ambivalenzen des Mediums beleuchtet. Die bislang in unterschiedlichen theoretischen Diskursen abstrakt oder auch technisch konzipierte Nicht-Greifbarkeit des augenscheinlich so evidenten filmischen Bildes wird in der Untersuchung des Giftmotivs erkennbar, analysierbar und in ihrer Relevanz nachgewiesen. Das Giftmotiv kann damit als Verkörperung eines Elements des filmischen Dispositivs, nämlich des indirekten Bildes, der Dialektik der Projektion und des Entzugs der Sichtbarkeit, gelesen werden. Durch die Begrifflichkeit des Prekären, die auf der internationalen Abschlusstagung interdisziplinär diskutiert wurde, konnte das Motiv darüber hinaus Anschluss an die zeitgenössischen Diskussionen des Nichtidentischen und des posthumanen New Materialism (Seier/Trinkaus 2015) gewinnen. Vor allem die Reise nach London brachte bis dahin unbekannte, für die Erschließung des Giftmotivs im Film hervorragend geeignete Filme zu Tage. Überraschend für das Projekt war auch das zahlreiche Vorkommen des Motivs im Frühen Kino. Aus diesem Ergebnis heraus hat Anke Zechner ein eigenständiges Forschungsprojekt erarbeitet, das die Art und Weise der Visualisierung des Motivs im Frühen Kino untersuchen soll. Weiterhin wurde deutlich, dass einen substanziellen Korpus an B-Filmen gibt, in denen das Giftmotiv auftritt. Bis auf vereinzelte Sichtungsberichte von ausnahmsweise zugänglichen DVDs oder Filmkopien konnte diese spezielle Form der Filmproduktion nur ansatzweise dokumentiert, nicht aber aufgearbeitet werden. Sie wäre für weitergehende Forschungen interessant, insbesondere, da sie Archivrecherchen erfordert und damit bislang unbekannte Filme erschließen kann. Vor allem die Tagung „Prekäre Identitäten“ stieß auf breites Interesse auch außerhalb der Universität, bspw. bei der Leiterin des dt. Apotheken-Museums Heidelberg, darüber hinaus gab es einen Beitrag bei Radio Okerwelle am 20.05.2015. Im Rahmen der SWR2 Matinee zum Thema „Gift“ wurde am 8.11.2015 ein Interview mit Heike Klippel gesendet (https://swrmediathek.de/player.htm?show=4af9a310-8609-11e5-a0fb-0026b975f2e6). Datenbank mit Sichtungsergebnissen: http://fid-forum.ifis.cs.tu-bs.de:8080/af/Poison/Filme
Publications
- (2013): „Tödliche Mischung. Zum Giftmotiv im Spielfilm.“ In: Ellmeier, Andrea; Ingrisch, Doris; Walkensteiner-Preschl, Claudia (Hg.): Ratio und Intuition. Wissenskulturen in Musik, Theater, Film. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 93-115
Klippel, Heike
- (2015): „Der gefallene Mann. Pilze, Verführung und Verfall in The Beguiled.“ In: Lettenewitsch, Natalie; Hüls Christian; Zechner, Anke (Hg.): Die Körper des Kinos. Für eine fröhliche Filmwissenschaft. Frankfurt am Main: Stroemfeld, S. 141-158
Klippel, Heike
- (2015): „Poisonous Cinema. Giftmotiv und Vermischung im frühen deutschen Kino“, in: Nach dem Film 2015
Zechner, Anke
- (2015): „Totentanz mit Brautkleid. Die vergiftete Gabe in Pier Paolo Pasolinis Medea.“ In: Nitsche, Jessica (Hg.): Mit dem Tod tanzen. Tod und Totentanz im Film. Berlin: Neofelis, S. 69-88
Zechner, Anke
- (2016): „She will be hanged after three clear Sundays“. Der Rechtsdiskurs als Träger des Unrechts am Beispiel von The Paradine Case. In: Onlinejournal Kultur & Geschlecht, Nr. 16
Zechner, Anke