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Zirkuläre Migration und Habitat: Zu einer Neudefinition des Stadt-Land-Verhältnisses in einer Epoche globaler Urbanisierung

Antragstellerin Dr. Elisa Tullia Bertuzzo
Fachliche Zuordnung Städtebau/Stadtentwicklung, Raumplanung, Verkehrs- und Infrastrukturplanung, Landschaftsplanung
Förderung Förderung von 2012 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 214352125
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Vor einigen Jahren stufte der Entwicklungsforscher Lant Pritchett die Bedeutung interner und zirkulärer Migration für die Abnahme der Armut so hoch, dass er sie als „Millennium Development Goal Plan B“ deklarierte; die kürzlich verabschiedete "2030 Agenda for Sustainable Development" der UNO fokussiert Migration erstmalig als förderlichen Faktor von Entwicklung, aber auch als Spiegel sozialen Zerfalls. Diese Ambiguität, und die Unaufhaltbarkeit, von lokaler, regionaler, inter- und gar transnationaler Mobilität in der heutigen Welt machen Migration zu einem essentiellen Thema für die Stadt-, Regional- und Raumplanung. Aber welche Strategien eignen sich beim Umgang mit Phänomenen, die eine der traditionellen Hauptannahmen von Stadttheorie und Siedlungswesen – die Sesshaftigkeit der meisten Bewohner_innen – auf den Kopf stellen? Und überhaupt, welche sind die Implikationen und Perspektiven einer in Bewegung begriffenen Gesellschaft? Ausgehend von diesen Fragen wurden die soziologischen, ökonomischen, kulturellen und kognitiven Aspekte von mit zirkulärer Migration einhergehender Multilokalität im Kontext Südasiens untersucht. Statt des Phänomens der zirkulären Migration an und für sich standen die Bedeutung, Gestaltung sowie die Gestaltbarkeit von Lebensformen in Bewegung im Fokus. Es galt also nicht nur die Hauptgründe, Ausmaße, Modalitäten und Akteure von zirkulärer Migration im ausgewählten Forschungsgebiet – Bangladesch und dem indischen Bundesland Westbengalen – zu erörtern, sondern vor allem die These zu beweisen, dass die sich dabei entwickelnden multilokalen Lebensweisen bisherige Wohnformen und Siedlungsstrukturen und darüber hinaus, auch bisherige Vorstellungen von Habitat verändern können. Eine zweite These betraf das Zustandekommen einer translokalisierten Gesellschaft, d.h. einer komplett auf Mobilität basierten Gesellschaftsform mi t neu konfigurierten Praktiken und Repräsentationen von Stadt, Land, Territorialität sowie von Zeit, Arbeit und Produktion. Die Forschung ging ethnographisch vor: Es wurden heterogene Berufsgruppen, von saisonalen Tagelöhnern über täglich pendelnde Straßenverkäufer bis hin zu wandernden Handwerkern berücksichtigt, was Bewegungen quer durch städtische und ländliche Regionen erforderlich machte, um progressiv vielschichtige Fallstudien mit den Geschichten und Erfahrungen von 12 Individuen zu erstellen, die zu den jeweiligen Lebens- und Arbeitsorten begleitet wurden. Die dabei entstandenen Kartierungen, Audio- sowie Videoaufnahmen und die gesammelten individuellen Repräsentationen wurden in die Webseite Archives of Movement (http://archives-of-movement.net/ ) eingearbeitet. Eine unerwartete Erkenntnis betraf das verstärkte Aufkommen zirkulärer Migration zwischen Westbengalen und den südindischen Bundesländern, über die bis dato kaum qualitative und so gut wie keine quantitative Untersuchungen vorliegen; die Verlängerungszeit des Projekts wurde diesem Phänomen gewidmet. Die konkreten und lebensnahen Beobachtungen zeigten, dass das interface zwischen Stadt und Land zu jenem Raum anerkannt werden muss, den es in Zukunft mental, sozial und physisch (neu) zu prägen gilt: Hier bewegen und begegnen sich Menschen verschiedenster Herkunft, dabei den sozialen Raum verändernd; hier wirkt sich unkontrollierte Mobilität am deutlichsten habitat- und umweltschädlich aus; hier nehmen aktuell neue Wertvorstellungen und Produktionsweisen Gestalt, die der Interpretation bedürfen. Dringender Handlungsbedarf besteht in Bezug auf das Wohnen. Dahingehend, dass herkömmliche Wohnformen angepasst und Routen, Wege oder Strecken der Migration derart bestückt werden, dass Menschen „ohne festen Wohnsitz“ untergebracht sind anstatt schutzloser zu werden, wird eine Neudefinition des Wohnens als Praxis nahe gelegt, die in der Bewegung geschieht. Bertuzzo, Elisa T. : Brief aus Kalkutta. In: Le Monde diplomatique, November 2013, 2.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • ertuzzo, Elisa T. (2013): Mobil, immobil, translokalisiert: Südasiens zirkuläre Migranten im „Dazwischen“. In: Scheiner et al. (Hg.): Mobilitäten und Immobilitäten. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, Band 142. Essen: Klartext Verlag, 459-473
    Bertuzzo, Elisa T.
  • (2014): During the Urban Revolution. In: Stanek et al. (Hg.): Urban Revolution Now. Henri Lefebvre in Urban Research and Architecture. Aldershot: Ashgate
    Bertuzzo, Elisa T.
  • (2014): Imploded theory, exploding bookshelves – and the planetary bias of centrality. In: disP – The Planning Review, 3/2014
    Bertuzzo, Elisa T.
  • (2016): On the myth of informal urbanisation. In: Planetary Urbanism, ARCH+, Nr. 223
    Bertuzzo, Elisa T.
  • (2016): The Multifaceted Social Structure of an unrecognised neighbourhood of Dhaka City. In: M. Rahman (Hg.): Dhaka – An urban reader. Dhaka: UPL
    Bertuzzo, Elisa T.
 
 

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