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Ottoman and European Music in Alî Ufukî's Compendium (c. 1640): analysis, interpretation, (trans-) cultural context

Subject Area Musicology
Term from 2012 to 2016
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 214593380
 
Final Report Year 2018

Final Report Abstract

Das Kompendium des ʿAlī Ufuḳī (MS Paris, Bibliothèque Nationale, Turc 292) ist eine außergewöhnliche Quelle von hohem, Disziplinen übergreifendem Erkenntniswert. Die zwischen ca. 1630 und spätestens 1675 verfasste, nachträglich gebundene Loseblattsammlung des polnischstämmigen osmanischen Hofmusikers und Dolmetschers ʿAlī Ufuḳī/Albert Bobowski (um 1610–um 1675) ist für die Historiografie und Aufführungspraxis einer ganzen Musikkultur von höchster Bedeutung. Die Sonderstellung der Quelle ergibt sich aus der Tatsache, dass sie eine der sehr wenigen Aufzeichnungen osmanischer Musik vor dem 19. Jh. darstellt. Es handelt sich um ein persönliches Dokument, das unvergleichliche Einsichten in die Lebens- und Arbeitsumstände eines bikulturellen Menschen am Schnittpunkt verschiedenster Übertragungswege von Repertoire, theoretischen Konzepten und aufführungspraktischen Traditionen aus dem osmanischen Reich und Europa bietet. Um dieser außergewöhnlichen Quelle gerecht zu werden, war das Projekt von drei Hauptgedanken angeleitet, nämlich Erschließung (die kritische Edition mit einbegreifend), Analyse und Kontextualisierung der musikbezogenen Inhalte, das heißt notierter Instrumental- und Vokalmusik aller Stilebenen und Gattungen, für den Gesangsvortrag vorgesehenen Liedtexten sowie auf theoretische Konzepte oder aufführungspraktische Themen bezogene Notizen. Zentrale Fragen waren Transkulturalität, Fixierung von mündlich tradierter Musik in einem aus einer fremden Kultur stammenden Zeichensystem, die Einbindung des Autors in internationale Wissensnetzwerke sowie seine Verortung in der osmanischen und europäischen Musikgeschichte bezüglich Repertoire, Theorie und Praxis. Edition und Studie haben hohe Erkenntniswerte in mehreren Bereichen gebracht und neue Perspektiven für die Erforschung osmanischer Musik in der Zukunft eröffnet. Als wichtigste Ergebnisse können folgende Punkte gelten: Es wurden tiefe Einsichten gewonnen in die Denkund Arbeitsweise eines bikulturellen Autors an der Schnittstelle zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und zwischen zwei musikalischen Systemen. Somit ist Turc 292 als persönliches Dokument in allen seinen Dimensionen allein dem Autor zugänglich, denn er zeichnete nur das auf, was ihm nicht selbstverständlich war: Bezüglich der melodischen Modi (maḳām) können kaum belastbare und in die Aufführungspraxis umsetzbare Erkenntnisse gewonnen werden, da nur wenige Notizen existieren und die selbst entwickelten Versetzungszeichen inkonsequent eingesetzt wurden. Bezüglich der rhythmischen Modi (uṣūl) hingegen konnten konkrete Schlüsse zur Interpretation und zum theoretischen Hintergrund gezogen werden. Für die historische Aufführungspraxis konnten aus zahlreichen Randnotizen wertvolle Hinweise gewonnen werden, z.B. zum Aufbau von Suiten, zur Gesangstechnik oder zum Einsatz von Tanz. Was die Einbindung in den Überlieferungskontext anbelangt, so muss die Diversität der im und um den Sultanspalast zu Gehör gebrachten Musik betont werden. Außerdem wird durch den Vergleich mit späteren Notationssammlungen für die Instrumentalmusik und Liedtexthandschriften für die Vokalmusik klar, dass das von ʿAlī Ufuḳī überlieferte Repertoire überwiegend nicht randständig, sondern in Formen, Gattungen und Ausdrucksweisen in seinen zeitlichen und örtlichen Kontext eingebettet ist. Die auf Kontakte mit europäischen Reisenden und Diplomaten zurückgehenden europäischen Materialien wurden zum Großteil identifiziert, genauso wie die in einigen Tabulaturschriften repräsentierten Lauteninstrumente. Auch die erstaunliche Vielfalt an Sprachen konnte mit der Hilfe von Spezialist/innen entschlüsselt werden; ein besonderer Glücksfall ist die Entdeckung der ältesten bekannten Aufzeichnung albanischer Volksmusik. In Bezug auf das Vokalrepertoire verdient die Handschrift erstens eine Neubewertung als zentrale Quelle der ʿāşıḳ-Dichtersänger mit bedeutendem Zugewinn an Texten berühmter Autoren sowie bislang wenig oder nicht dokumentierter ʿāşıḳs. Zweitens wurde klar, dass die höfische Vokalgattung murabbaʿ im Fokus des musikhistorischen Wandels im 17. Jh. gestanden haben muss; hier wird von zukünftigen Forschungen hoher Erkenntniswert erwartet.

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