Religionsbezogene verschwörungstheoretische Erzählungen in den francobelgischen Comics (Frankreich, Belgien, Deutschland)
Final Report Abstract
Das Projekt untersuchte die Generierung neuer religionsbezogener Wissensformen durch die Produkte medialer Populärkultur im Kontext der Debatte um Säkularität und Postsäkularität am Beispiel religionsbezogener verschwörungstheoretischer Erzählungen in den francobelgischen Comics. Diese erleben seit Mitte der 1990er Jahre eine im Vergleich zu ihrer bisherigen Geschichte völlig neuartige Religionswelle, in der verschwörungstheoretische Erzählungen eine signifikante Position einnehmen. Da die Comics in Frankreich und Belgien eine bedeutende Stellung innerhalb der Populärkultur besitzen, erlaubte die Beschäftigung mit ihnen relevante und signifikante Einsichten in die von ihnen generierte Postsäkularität. Die religionsbezogenen Diskurse der untersuchten Comics sind thematisch breit angesetzt: Die Themen reichen von dezidiert theologischen Fragestellungen (Theodizee, Apokalyptik, Glaube und Wissenschaft etc.) über die Genese der individuellen und kollektiven religiösen Identität (religiöse Subjektivität, Kanonbildung und Apokryphen, historische Entwicklung der Kirche etc.) bis hin zu frömmigkeitsgeschichtlichen (Turiner Grabtuch) und zeitaktuellen Phänomenen (religiöser Terrorismus, Irakkrieg) sowie zur Interaktion von Religion und Politik (Fundamentalismus und amerikanischer Imperialismus). Die diesbezüglichen Recherchen der Szenaristen erwiesen sich als ausgesprochen akribisch, so dass die Aneignung der von den Erzählungen konstituierten Bedeutungen und Messages für die Rezipienten religionsbezogene Wissensformen ergeben kann. Die untersuchten Comics lassen sich auf einer Skala von religionsaffirmativ bis religionskritisch anordnen, wobei jedoch auch dezidiert affirmative Serien ebenso religionskritische Elemente und eher religionskritisch positionierte Erzählungen ebenso noch religionsaffine Optionen enthalten. Genderthematisch zeigen sich die Comics sowohl als postfeministisch – was einzelne Serien zum Verzicht auf Genderthemen bringt – als auch als postpatriarchal, so dass der Genderdiskurs en passant, aber nicht dominant, geführt und die vorausgesetzte Delegitimation des Patriarchats zur Designation negativ zu wertender anderer Positionen genutzt werden kann. Die von den Comics generierte Postsäkularität präsentiert Religion(en) primär als Zeichenkosmen, die in erster Linie Adressaten und Materialien hoch individualisierter Bedeutungszuschreibung bei der Bemühung um Antworten auf die „großen Fragen“ und existenziellen Sinn fungieren und prinzipiell im Plural stehen. Autonomie des kontingenten, gleichwohl kompetenten Individuums bildet eine Zentralstelle – auch für die Konstitution religiöser Subjektivität – und realisiert sich in der endlosen Semiose, in die auch die Zeichen der Religion einbezogen werden. Die Thematisierung von Religion in Gestalt fiktionaler Erzählungen und im Genre der verschwörungstheoretischen Erzählung kommt dabei der postmodernen Semiose und ihrer prinzipiellen Unabgeschlossenheit sowie der Delegitimation substantieller „großer Erzählungen“ entgegen, die die Präsentation von „Gesamtsinn“ nur noch im „Als-ob“-Modus möglich erscheinen lassen. Die neuen religionsbezogenen Wissensformen, die dem Publikum durch die Erzählungen ermöglicht werden, laufen material der säkularen Aufwertung der Immanenz und der philosophischen Wende zur Kontingenz sowie der Subjektivation, Autonomisierung und Individualisierung zu; die Form des Wissens – sein „Als-ob“-Status – erhöht die Beweglichkeit des Subjekts bei der Bedeutungszuschreibung.
Publications
- Postsäkularität in Comics, in: Stimmen der Zeit 9/2010, 619-630
Hausmanninger, Th.
- Verschwörung und Religion. Aspekte der Postsäkularität in den francobelgischen Comics (2013, Verlag W. Fink, Paderborn) 978-3-7705-5508-6
Hausmanninger, Th.