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Entstehung und Steuerung "gemischter" unterrichtsorganisatorischer Normen im Transfervergleich (Spanien, Irland, Indien, ca. 1840-1900)

Subject Area General Education and History of Education
Term from 2012 to 2017
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 219744461
 
Final Report Year 2018

Final Report Abstract

Im 19. Jahrhundert fand ein gewaltiger unterrichtsorganisatorischer Übergang im Primarschulbereich statt, der alte Muster nicht kontinuierlicher Interaktionen im Klassenzimmer zugunsten eines systematisch aufgebauten Interaktionssystems überwand. Im Rahmen einer langwierigen, international geführten Diskussion über Unterrichtsorganisation setzte sich schließlich ein auf homogenen Jahrgangsgruppen basierendes Unterrichtsszenario durch. Die Erforschung dieser Vorgänge bildet ein zentrales, bislang wenig beachtetes Kapitel in der Geschichte der Entstehung einer grammar of schooling. Nachdem der zu Anfang des 19. Jahrhunderts vielerorts populäre wechselseitige Unterricht, der auf dem systematischen Einsatz von Kindern als Lehrern beruhte, in Misskredit geraten war, versuchten diverse „gemischte“ Unterrichtssysteme die angestrebte Systematisierung unterrichtlicher Interaktionen dadurch zu erreichen, dass sie Elemente des wechselseitigen Unterrichts durch die Kinder mit dem Gruppenunterricht durch erwachsene Lehrer verbanden. Diese „gemischten“ Systeme waren ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur modernen Jahrgangsklasse. Angelegt als Vergleich unterschiedlicher Transferprozesse, untersuchte das Projekt die Diskussion und die Modellbildung im Bereich „gemischter“ Unterrichtsmodelle für Primarschulen im Zeitraum von ca. 1840 bis 1900. Analyseeinheiten bei der Modellbildung dieser Reformen waren England und Frankreich, d.h. zwei Länder, in denen die in internationaler Perspektive maßgeblichen Referenzmodelle für „gemischte“ Unterrichtssysteme entstanden. Des Weiteren wurden west- und außereuropäische Kontexte untersucht, in denen die englischen und französischen Referenzmodelle aufgegriffen und im Zuge jeweils spezifischer Aneignungsprozesse umgesetzt wurden: Irland, Spanien und Indien. Im Einzelnen ging es um den Transfer und die Umsetzung zweier in internationaler Perspektive einflussreicher Referenzmodelle „gemischter“ Unterrichtssysteme: des französischen enseignement simultané-mutuel in Spanien sowie des englischen pupil teacher system in Irland und Indien. Das Projekt – basiert auf umfangreichen Unterlagen aus Archiven und Bibliotheken – wertete die Transferdynamik gemischter Normen für die Unterrichtsorganisation, die dabei entstandenen Wissenskonstruktionen sowie die Umsetzungen in den jeweiligen Primarschulsystemen aus. Auf der Ebene des Transfers zeigte sich für alle Länder ein vom „Empfänger“ aus initiierte Transferprozess, in dem die jeweiligen Akteure nicht alternative gemischte Normen abwogen, sondern klar identifizierbaren Modellkonstruktionen folgten. Das Wissen über gemischte Unterrichtsnormen zeigt einen generellen Trend zur Akzeptanz eines Primarschulklassenzimmers, in dem eine Polarisierung zwischen allein Lehrenden und allein Lernenden noch nicht erfolgte. Zwischenpositionen – Monitore, bezahlte Monitore, sehr junge Lehrlinge, Praktikanten der Lehrerbildung – schwächten das im 20. Jahrhundert dominante Bild des Klassenzimmers, in dem die Unterscheidung Lehrenden/Lernenden klar erfolgte, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entscheidend ab. Die Analyse der Umsetzungen zeigt, dass diese gemischten Normen eine bedeutende Durchdringungskraft bei der Ausgestaltung von Schul- und Unterrichtssituationen hatten. Flächendeckende Musterschulen mit Lehrerbildungsfunktion und hierarchisch aufgebaute Schulinspektorate garantierten in Irland und Spanien eine relativ konsequente Umsetzung über die urbanen Kontexte hinaus. In Indien standen der Durchsetzung dieser Unterrichtsnorm kulturelle Barrieren gegenüber. Besonders im Bereich der weiblichen Schulbildung zeigten sich die Grenzen einer aktiven Mitwirkung von Heranwachsenden in der Ordnung der Klassenzimmer. Neben den dokumentierten und analysierten Entwicklungen und Variationen der gemischten Unterrichtsorganisation bildet das überraschende Hauptergebnis des Projekts die Erkenntnis, dass diese Form der Unterrichtsorganisation die Entstehung nationaler Schulsysteme konsistenter und länger begleitet hat, als in der Bildungshistoriographie bislang angenommen wurde.

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