Battles over Belief: Religion and Violence in Catholic Europe, 1848-1914
Final Report Abstract
Religionsbezogene Gewalt habe im 19. Jahrhundert nachgelassen oder wäre sogar – abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen – komplett verschwunden. So hieß es zumindest lange in der Forschung. Genau diese These wollte das Projekt „Glaubenskämpfe“ überprüfen. Anhand von Fallstudien aus Westeuropa, der Iberischen Halbinsel und dem westlichen Balkan erforschten die ProjektmitarbeiterInnen, wie Männer und Frauen, die von politischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeschlossenen waren, in ihrem Alltag mit Konflikten um die Grenzen des religiös-kirchlichen Raums umgegangen sind. Dabei entdeckten sie zahlreiche Fälle, in denen Gläubige noch im 19. Jahrhundert auf Gewalt zurückgriffen, um die bestehende religiös-kirchliche Ordnung zu schützen, sich von Andersgläubigen und -denkenden zu distanzieren oder sich von der Kirche zu emanzipieren. Zugleich zeigte das Projekt, dass Religion alleine im 19. Jahrhundert kaum noch Menschen zu gewaltsamen Aktionen bewegen oder als Grund für die Eskalation von Konflikten dienen konnte. Anders gesagt: Religion führte nur dann zu Gewalt, wenn sie im Zusammenhang mit säkularen Konfliktgefällen stand, wie sozialer Ungleichheit, ländlicher Marginalisierung, national-ethnischer Diskriminierung oder kolonialer Unterdrückung. Diese Gewalt war indes keineswegs nur rückwärtsgewandt; vielmehr versuchten Gläubige mithilfe von Gewaltakten politische und soziokulturelle Prozesse zu steuern, auf die sie sonst nur bedingt Einfluss hatten. Das gilt besonders für die Jahrzehnte nach 1870, die eine Verdichtung religionsbezogener Gewalt verzeichneten. Diese Konzentration dauerte bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg an und wurde von einer Wiederverwertung frühneuzeitlicher Gewaltkulturen geprägt – wie die Begriffe ‚Ketzer‘, ‚Religionskrieg‘ und ‚Reconquista‘, aber auch die Verbrennung von Büchern oder Bildern bezeugen. Die Vermehrung religionsbezogener Gewalt im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert soll nicht über die Diversität innerhalb der katholischen Gemeinschaft hinwegtäuschen. Dies manifestierte sich genauso in der unterschiedlichen Bereitschaft, sich für die Kirche zu engagieren oder andere Gläubige zu bekämpfen, wie in der Mahnung, Andersgläubige oder Andersdenkenden nicht voreilig als fanatisch oder bösartig einzustufen. Vor dem Hintergrund dieses intrakatholischen Pluralismus erweist sich der eher bipolar konstituierte Begriff ‚Kulturkampf‘ als unpassend. Die Zerstrittenheit innerhalb des katholischen Lagers hing eng mit dem Eigensinn zusammen, den einzelne Gläubige regelmäßig gegenüber kirchlichen Amtsträgern zeigten. Vorfälle, bei denen katholische Laien trotz bischöflicher Warnungen zu Gewalt griffen oder sogar Priester verjagten, warnen vor der Idee einer allesumfassenden klerikalen Dominanz im 19. Jahrhundert. Jenseits dieser historischen Erkenntnisse hat das Projekt noch etwas anderes gezeigt, nämlich die Vielfalt möglicher Entstehungsgründe religionsbezogener Gewalt. Während SozialwissenschaftlerInnen ‚religiöse Gewalt‘ oft monokausal erklärt haben, konnten die ProjektmitarbeiterInnen zeigen, dass Gewalt im Zusammenspiel mit säkularen Konflikten entstand, die Bekämpfung einer religiösen Normverletzung begleitete oder aber auch konstruiert wurde, um die Unterdrückung von Gläubigen zu legitimieren. Gerade in diesem Feld konnte das Projekt „Glaubenskämpfe“ eine Brücke zur Gegenwartsgesellschaft schlagen und damit mediale Aufmerksamkeit erzeugen. Zum Auftakt einer Vortragsreihe gab es eine Sendung im Deutschlandfunk („Der Fundamentalismus der IS-Terroristen“, 16.10.2014) sowie Berichte in einigen digitalen Zeitungsportalen. Auf die Veröffentlichung von Glaubenskämpfe: Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert (Göttingen 2019) folgten gleich zwei Artikel in Welt Online: „Beamte wurden mit Macheten oder Schrotflinten hingerichtet“ (04.12.2019) und „Einer war ohne Kopf und besaß nur noch Kiefer und Nackenhaut“ (08.07.2020). Auch entstanden Beiträge für ein jüngeres Publikum. So sprachen Leo, das Kindermagazin der Zeit, und das Zeitungsmonster Kruschel (Rhein-Main Presse) mit den ProjektmitarbeiterInnen über die Ursprünge und Ziele religionsbezogener Gewalt (01.03.2015; 01.08.2015).
Publications
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Gotteslästerung in Europa. Religionsvergehen und Religionskritik seit 1500 (Schwalbach im Taunus 2017) 160 S.
Eveline G. Bouwers; Sara Mehlmer, Péter Techet, Mariam Hammami und Caroline Katzer
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Eveline G. Bouwers und Niall Whelehan (Hrsg.), Homelands and Hostlands: The Spatial Dynamics of Political Mobilisation in the Early-Twentieth Century World (= Immigrants & Minorities 35:3 (2017)). Darin: Challenging the Republic from the Provinces: An Analysis of Crowd Action after the French Separation Law (1905), S. 157-176
Eveline G. Bouwers
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Homelands and Hostlands: The Spatial Dynamics of Political Mobilisation in the Early-Twentieth Century World (= Immigrants & Minorities 35:3 (2017)). Darin: The Importance of Space for Understanding Political Mobilisation, S. 149-156
Eveline G. Bouwers und Niall Whelehan
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Die österreichisch-ungarische Küstenregion: Differenzen, Imaginationen und imperialer Kontext in einer historischen Landschaft, in: Sabine Jagodzinski / Aleksandra Kmak- Pamirska / Miloš Řezník (Hrsg.), Regionalität als historische Kategorie. Ostmitteleuropäische Perspektiven (Osnabrück 2019), S. 281–298
Péter Techet
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Glaubenskämpfe: Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019) 359 S.
Eveline G. Bouwers (Hrsg.)
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Verzahnung kirchen- und nationalpolitischer Frontlinien in Fiume/Rijeka: »Liberale« Ungarn und Italiener zur Zeit des ungarischen »Kulturkampfes« (1894/1895), in: Bernhard Bachinger / Wolfram Dornik / Stephan Lehnstaedt (Hrsg.), Österreich-Ungarns imperiale Herausforderungen: Nationalismen und Rivalitäten im Habsburgerreich um 1900 (Göttingen 2020), S. 295–312
Péter Techet