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Phasen-Synchronisations-Analyse zur Konstruktion physiologischer Netzwerke

Fachliche Zuordnung Statistische Physik, Nichtlineare Dynamik, Komplexe Systeme, Weiche und fluide Materie, Biologische Physik
Förderung Förderung von 2013 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 234958158
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die Organe des menschlichen Körpers lassen sich als komplexe Systeme unter neuronaler Regulation betrachten. Ihre Dynamik kann anhand von Vielkanal-Zeitreihen analysiert werden, beispielsweise durch Langzeit-Spannungsmessungen am Kopf (EEGs), an Muskeln (EMGs) oder die Zeitintervalle zwischen aufeinander folgenden Herzschlägen (aus dem EKG). Die Komplexität der Signale wird durch verschiedene Wechselwirkungen und Rückkoppelungen zwischen den Organen erhöht, wobei nicht-stationäre und nicht-lineare Fluktuationen und Oszillationen auftreten. Zuerst wurden fünf Methoden zur Phasen-Synchronisations-Analyse optimiert zur Erkennung von kardio-respirativer Synchronisation, d.h. einer Atmung im Gleichtakt mit dem Herzrhythmus trotz variabler Herz- und Atemfrequenz. Die Vor- und Nachteile der Methoden bei verrauschten und fehlerbehafteten Daten wurden identifiziert. Bei der Analyse der Daten von gesunden Probanden und gut 1400 Patienten, die einen Herzinfarkt überlebt hatten, zeigte sich, dass es bei der kardiorespirativen Synchronisation deutliche Unterschiede zwischen Tag und Nacht gibt, dass die Synchronisation bei den Patienten verringert ist und bei nach zwei Jahren verstorbenen Patienten nochmals deutlich verringert. Da dieser Risiko-Prädiktor unabhängig von vorher bekannten ist, kann er damit kombiniert werden, um besser zu entscheiden, welchen Patienten ein Defibrilator implantiert werden soll. Schwachpunkt und daher Ansatzpunkt für die laufenden Nachfolge- Arbeiten ist eine zuverlässige Erkennung und Zuordnung der Atmungsphasen. Weiterhin haben wir neue Ansätze zur Analyse der Oszillationen in Herzschlag, Atmung, Blutdruck und Plethysmogramm (arterielle Sauerstoffsättigung gemessen über Lichtabsorption) entwickelt, die Auto- und Kreuz-Synchronisations-Analyse. Dabei konnten wir zeigen, dass die Oszillationen in diesen Signalen im Frequenzbereich der Atmung (0.2 bis 0.35 Hz) am stärksten kohärent und deutlich phasenverschoben sind, während im Frequenzbereich der Mayer-Wellen (etwas unter 0.1 Hz) weniger kohärente und nicht phasenverschobene Oszillationen auftreten, außer im Plethysmogramm. Dieses Ergebnis der physiologischen Grundlagenforschung ist auch wesentlich für ein besseres Verständnis des Baroreflex, einer autonomen Modulation der Herzfrequenz bei Blutdruckschwankungen. Zu deren Quantifizierung wurde auch eine neue Methode entwickelt. Die Phasen-Synchronisation-Analyse haben wir weiterhin auf 32-Kanal EEGs von Parkinson-Patienten (in zwei Gruppen) und gesunden Kontroll-Probanden angewendet. Dabei war es durch die stark ausgebaute Zusammenarbeit mit einer israelischen Gruppe erstmals möglich, EEGs von Personen während des freien Gehens zu verwenden und so die Patho-Physiologie des „Freezingof-Gait“ (Einfrieren des Gangs) bei Parkinson-Patienten zu charakterisieren. Dafür haben wir auch Methoden der Netzwerk-Rekonstruktion und -Charakterisierung für die Analyse schneller Veränderungen (physiologische Übergänge auf einer Zeitskala weniger Sekunden) in den Vielkanal-EEGs weiterentwickelt und verwendet („Netzwerk-Physiologie“). Ausgehend von den Ergebnissen wurde ein Nachfolge-Projekt bei der Deutsch-Israelischen Stiftung GIF beantragt, welches nun seit Januar 2016 gefördert wird. Mit diesem Projekt sollen die Ergebnisse erweitert und zur praktischen Anwendung für die Parkinson-Diagnostik im Krankenhaus gebracht, sowie zur Entwicklung von Stimulatoren zur Vermeidung von „Freezing-of-Gait“ verwendet werden. Wesentliche Publikationen von Projektergebnissen befassen sich mit dem Skalenverhalten von EEG- und Akzellerometrie- (d.h. Beschleunigungs-) Signalen im Vergleich von Wach- und Schlafphasen bei gesunden Probanden und Patienten. Letztere Ergebnisse sind bereits auf dem Wege zu einer praktischen Anwendung im großen Rahmen. Alle Akzellerometrie-Signale der deutschen Nationalen Kohorte-Studie (NAKO) von geplanten 200 000 Probanden sollen mit den hier entwickelten Algorithmen als Wachzeit, Schlafzeit oder Nichttragezeit klassifiziert werden. Entsprechende Software zur Qualitätssicherung der Akzellerometrie-Daten wurde entwickelt und den Datenintegrationszentren der NAKO bereits zur Verfügung gestellt; die eigentliche Analysesoftware folgt in den nächsten Monaten. Ferner wurde eine Zusammenarbeit mit einer chinesischen Gruppe begonnen, um Unterschiede zwischen chinesischen und europäischen Probanden bzw. den Analysemethoden im Schlaflabor aufzuzeigen, die Auswirkungen von Narkolespie auf die Schlaf-Wach-Dynamik zu studieren und die Physiologie der Schlafstadien-Kontrolle besser verstehen zu lernen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Transitions in scaling behavior of accelerometric time series across sleep and wake, EPL 103, 68002 (2013)
    P. Wohlfahrt, J.W. Kantelhardt, M. Zinkhan, A.Y. Schumann, T. Penzel, F. Pillmann und A. Stang
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1209/0295-5075/103/68002)
  • Process and outcome for international reliability in sleep scoring, Sleep & Breathing 19, 191-195 (2015)
    X. Zhang, X. Dong, J.W. Kantelhardt, J. Li, L. Zhao, C. Garcia, M. Glos, T. Penzel und F. Han
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s11325-014-0990-0)
  • Scaling behavior of EEG amplitude and frequency time series across sleep stages, EPL 112, 18001 (2015)
    J.W. Kantelhardt, S. Tismer, F. Gans, A.Y. Schumann und T. Penzel
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1209/0295-5075/112/18001)
  • The detection of emerging trends using Wikipedia traffic data and context networks, PLoS ONE 10, e0141892 (2015)
    M. Kämpf, E. Tessenow, D. Y. Kenett und J.W. Kantelhardt
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1371/journal.pone.0141892)
 
 

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