Politische Kultur erzgebirgischer Bergstädte (1470-1648)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war die vergleichende Untersuchung der politischen Kultur erzgebirgischer Bergstädte in der Frühen Neuzeit. Das Projekt ging von der Hypothese aus, dass sich die Besonderheiten des Typus „Bergstadt“ nicht allein auf ökonomische, soziale und rechtliche Dimensionen beschränken, sondern dass sie auch und gerade auf der politischen Ebene zu verorten sind. Im Laufe der Projektarbeit zeichnete sich frühzeitig ab, dass eine Schwerpunktverlagerung und eine Präzisierung der Fragestellung notwendig war. Statt allgemein nach der politischen Kultur erzgebirgischer Bergstädte zu fragen, wurde der Fokus stärker auf den Bergbau und die Funktionsweise der sächsischen Bergverwaltung gelegt. In Anbindung an das Konzept der akzeptanzorientierten Herrschaft (Stefan Brakensiek) blieb dabei die Untersuchung der Bergstädte ebenso wie das Konzept der politischen Kultur weiterhin ein wichtiger Stützpfeiler des Projekts. Das Projekt fragt in seiner Neuausrichtung nach der Entstehung, Formalisierung und Funktionsweise von Verwaltungsstrukturen vom späten 15. bis zum Ende des 16. Jahrhundert unter den spezifischen Bedingungen des Bergbaus. Dadurch wurden drei Fragehorizonte miteinander verknüpft: Erstens wurde auf der Mikroebene ein Beitrag zur Geschichte der sächsischen Bergverwaltung geleistet, wobei auf Grund des begrenzten Forschungstandes zahlreiche Aspekte der Verwaltung, von der Buchhaltung bis hin zu der Ausstattung der Diensträume, durch kleinteilige Archivarbeit erstmalig rekonstruiert werden konnten. Zweitens nahm das Projekt auf der Mesoebene systematisch die Frage nach der Ausgestaltung und Formalisierung von Verwaltungsstrukturen unter den frühkapitalistischen Bedingungen des sächsischen Bergbaus auf und versuchte aus einer neuen Perspektive nach dem Zusammenhang von Herrschaft, Kapitalismus, städtischer Gesellschaft und Verwaltung zu fragen. Auf dieser Grundlage konnte drittens auf der Makroebene die bislang in der Frühneuzeitforschung zu selten systematisch gestellte Frage diskutiert werden, was vormoderne Organisationen sind und wie man diese untersucht. Eine These des im Kontext des Projekts angesiedelten Promotionsprojekts von Franziska Neumann ist, dass die spezifischen Bedingungen des Bergbaus vor allem zur Ausbildung einer Schauseite von Verwaltung führten. Diese Schauseite diente in einem gewissen Sinne als Rationalitätsinszenierung, durch die der sozialen Umwelt der Verwaltung vermittelt werden konnte, dass der Bergbau entgegen einer ständischen und auf personeller Verflechtung basierenden Logik auf rationalen, das heißt auf sach- und nicht personengebundenen Entscheidungsprämissen begründet war. Zugespitzt formuliert: Dort, wo Verwaltung für die Gewerken sichtbar wurde, inszenierte sie sich im Gewand der formalen Organisation.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Das Ritual als Kampfplatz. Konflikte um Prozessionen in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt, in: Dietrich Boschung u. a. (Hg.): Raum und Performanz. Rituale in Residenzen von der Antike bis 1815, Stuttgart 2015, S. 309-332
Gerd Schwerhoff
- Die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte als Laboratorien der Historischen Kriminalitätsforschung, in: Städte im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit als Forschungsthema der letzten zwanzig Jahren (Documenta Pragensia 32/2), zusammengestellt von Olgan Fejtová u. a., Prag 2015, S. 201 – 213
Gerd Schwerhoff
- Der selektive Blick. Frauen im Bauernkrieg zwischen Frauen und Geschlechtergeschichte, in: Schattkowsky, Martina (Hrsg.): Frauen und Reformation. Handlungsfelder, Rollenmuster, Engagement, Leipzig 2016, S. 153-170
Franziska Neumann
- Frühneuzeitliche Stadtgeschichte im Cultural Turn – eine Standortbestimmung, in: Julia A. Schmidt-Funke / Matthias Schnettger (Hg.): Neue Stadtgeschichte(n). Die Reichsstadt Frankfurt im Vergleich, Bielefeld 2018. S. 11-40
Gerd Schwerhoff
(Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839434826-002)