The Institutions of the German Retail Sector - A Historical and Comparative Insitutionalist Analysis of a German Non-core Industry
Final Report Abstract
Das Projekt untersuchte den deutschen Lebensmitteleinzelhandel aus einer historisch-institutionalistischen Perspektive. Die historischen Entwicklungen sechs institutioneller Domänen wurden auf der Grundlage von Branchenpublikationen, umfangreichen Archivrecherchen sowie Expertengesprächen rekonstruiert. Es konnte gezeigt werden, dass die den deutschen Einzelhandel prägenden Institutionen sich nicht als branchenspezifische Modifikationen oder als schwächere Versionen der von der vergleichenden Kapitalismusforschung als charakteristisch für die Kernsektoren der deutschen koordinierten Marktwirtschaft identifizierten Institutionen verstehen lassen. Vielmehr folgt die Entwicklung dieser Branche überwiegend einer ganz eigenen Logik. Deren Rekonstruktion ist die erste historisch institutionalistische Untersuchung eines deutschen Nicht-Kern-Sektors. Viele Besonderheiten des deutschen Einzelhandels wurzeln in der Tradition des Mittelstands, die sich im späten 19ten Jahrhundert herausbildete und die bis heute fortwirkt. Weitere entscheidende Weichenstellungen fanden dann in den 1960er und frühen 1970er Jahren im Zusammenhang mit der Einführung der Selbstbedienung („Einzelhandelsrevolution“) statt, als sich ordoliberale Prinzipien gegen solche des organisierten Vorkapitalismus weitgehend durchsetzen konnten. Das Projekt liefert detaillierte Ergebnisse zur Entwicklung in sechs institutionellen Domänen, die hier nur angerissen werden können. In der institutionellen Domäne der Corporate Governance nutzten die mittelständischen Einzelhändler seit langem genossenschaftliche Strukturen sowie verschiedene obskure Rechtsformen wie Stiftungen und ‚… & Co. KGs‘. In der Domäne der Berufsausbildung bildet die große Bedeutung der zweijährigen Ausbildung zur (meist weiblichen) Verkäuferin eine Besonderheit. In der Domäne der Arbeitsbeziehungen ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad traditionell niedrig, und die betriebliche Mitbestimmung ist schwach oder fehlt ganz. In der Domäne der Lieferbeziehungen dominieren im Einzelhandel Konflikt und kurzfristige Preisorientierung und nicht wie in den Kernindustrien vertrauensvolle Zusammenarbeit. Über diese vier im Fokus der vergleichenden Kapitalismusforschung stehenden institutionellen Domänen hinaus sind zwei weitere für den Einzelhandel prägend: Während die Stadt- und Raumplanung auf die Kernindustrien kaum einen Einfluss hat, wirkte sie in Deutschland zunächst als eine Industriepolitik zugunsten kleiner, mittelständischer Betriebe, förderte dann aber auch die Verbreitung der Discounter. Der deutsche konservative Wohlfahrtsstaat schließlich befördert in den exportorientierten Kernsektoren die Beschäftigung von männlichen Familienernährern, im Einzelhandel dagegen die Teilzeitbeschäftigung von überwiegend weiblichen, relativ schlecht entlohnten Zuverdienerinnen. Zwischen den sechs untersuchten institutionellen Domänen konnte das Projekt eine Vielzahl von Komplementaritäten identifizieren; gemeinsam prägen sie die Struktur des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland, die sich – wie das Projekt zeigt – deutlich von denen in Frankreich, Großbritannien oder auch Italien unterscheidet. Schließlich legen die Ergebnisse nahe, dass die historische Entwicklung des komplexen Geflechts der sechs untersuchten institutionellen Domänen den deutschen Lebensmitteleinzelhandel auf niedrige Kosten und Preise konditioniert hat, und so über die Begrenzung der Lebenshaltungskosten auch für die Beschäftigten der exportorientierten Kernsektoren indirekt zu deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit, also zum Erfolg des „Deutschen Modells“ beigetragen hat.
Publications
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Eine historisch-institutionalistische Perspektive auf den deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Waren–Wissen–Raum. N. Baur, J. Fülling, L. Hering und E. Kulke, Wiesbaden: Springer, 89-132.
Wortmann, Michael
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The German variety of grocery retailing: A historical institutionalist analysis of a non-core industry. Competition & Change, 25(3-4), 453-477.
Wortmann, Michael
