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Altern als Selbstverwirklichung. Freiheiten und Zwänge später Lebensphasen im Schnittfeld von Neurowisenschaften, Vorsorge-, Bildungs- und Altersdiskurs

Subject Area Protestant Theology
Term from 2014 to 2018
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 251782721
 
Final Report Year 2018

Final Report Abstract

„Altern“ ist ein dichtes Konzept, in dem Deskriptives und Normatives, Somatisches und Soziales, Diskursives und Institutionalisiertes auf das Engste ineinander greifen. Das Altern ist gleichermaßen Gegenstand von Hoffnungen, Ängsten und Wünschen wie von politischen Regulierungen und sozialen Vorgaben, die sich in imperativen Zielformulierungen für Alternde niederschlagen. „Bleib gesund!“ – „Steigere dich!“ – „Bring dich ein!“ – „Werde du selbst!“: Ohne dass sie immer formuliert werden müssten, stellen solche Imperative geläufige, selten problematisierte Hintergrundplausibilitäten des Alterns dar; sie prägen gesellschaftliche Diskurse, Selbstwahrnehmungen und Alltagspraktiken und sie materialisieren sich in Prämissen der Sozial-, Gesundheits- und Demografiepolitik. Altern ist sowohl eine existenzielle, hochgradig diverse Herausforderung für jede einzelne Person als auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die kaum reicher an Kontroversen sein könnte. Wie in einem Brennglas deckt die Thematisierung des Alters die Ambivalenzen und Grenzen auf, innerhalb derer die spätmoderne Gesellschaft die Maße des Menschlichen verhandelt. Folgt man den medialen und politischen Altersdiskursen der Gegenwart, scheinen die Zeiten vorbei, da das Alter(n) allein negativ (Verfall, Abbau, Rückzug) konnotiert wurde. Heute steht das erfolgreiche, gesunde, aktive und produktive, selbstbestimmte und gestaltete, gar: das alterslose Alter im Zentrum der Aufmerksamkeit. Viele dieser auf den ersten Blick vielversprechenden Altersaufgaben und -präskriptionen sind hochgradig ambivalent und können aus guten Gründen kritisiert werden. Sie widersprechen einander; sie transportieren durchaus problematische Bilder des Alter(n)s; sie formen auf subtile Weise die Subjektivität alternder Menschen. Zugleich verhält sich die soziale Wirklichkeit des Alterns spröde zu diesen Imperativen; die soziale Diversität und die vitalen Ungleichheiten realer Alterungsprozesse, aber auch dementielle Erkrankungen oder Pflegebedürftigkeit hindern viele, im Sinne der Imperative „erfolgreich“ zu sein. Und die Leitvorstellungen der Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung oder gar Selbstvervollkommnung sind reich an begrifflichen und normativen Implikationen, die eigens zu problematisieren sind. Das Netzwerk hat diese imperativisch strukturierte Alternsaufgabe in interdisziplinärer Kooperation analysiert. Dabei wurden nicht nur die klassisch mit dem Altern und Alternsprozessen befassten Wissenschaften einbezogen, sondern eine breite Koalition von Vertreterinnen und Vertretern aus Philosophie, Sozialwissenschaften, Theologie, Neurowissenschaften, Psychologie, Ethnologie, Geschichts-, Bildungs- und Pflegewissenschaften zum Gespräch gebeten. Das stieß durchaus auf Resonanz in der wissenschaftsnahen wie auch sozialpolitisch interessierten Öffentlichkeit: Die zur Tagung erweiterte Abschlusssitzung des Projektes wurde von ca. 100, in einem Panel über 300 Teilnehmenden besucht. Insgesamt zeigte sich in der Arbeit des Netzwerkes, dass das Thema des Alter(n)s in einer Gesellschaft, die sich selbst als „alternde“ beschreibt, einerseits populär ist, andererseits aber insbesondere in den Sozial- und Humanwissenschaften und in der Philosophie nicht immer den Stellenwert hat, der ihm sachlich zukäme. Zu oft wird hier von vermeintlichen Universalien einer conditio humana ausgegangen, die deutliche Merkmale des mittleren Lebensalters aufweist. Das cogito der Erkenntnistheorie, der selbstbestimmte Wille oder das Subjekt der rationalen Wahl entpuppen sich so als altersvergessene Abstrakta, die es im Sinne einer multidisziplinären alter(n)ssensiblen Anthropologie zu überwinden gilt.

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