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Fiktive Anthologien in der bulgarischen Literatur der Post/Moderne: Kreation des Kanons als Kunst
Antragstellerin
Privatdozentin Dr. Henrike Schmidt
Fachliche Zuordnung
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Kulturwissenschaft
Förderung
Förderung von 2014 bis 2020
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 252118543
Fiktive Anthologien fingieren die Sammlung von repräsentativen Muster- oder Meisterwerken, indem sie diese erfinden und Autorschaft mystifizieren. Sie spielen mit dem literarischen Schwindel, im doppelten Wortsinne der Leser-Täuschung und der narrativen Desorientierung. Sie nutzen die normative Autorität der Meta-Gattung Anthologie, um einzelne Stilrichtungen sowie übergreifende Ästhetiken oder sogar National-Literaturen zu propagieren und zu kanonisieren. Oder aber sie stellen diesen Kanon spielerisch-subversiv in Frage. Fiktive Anthologien sind somit performative Kanon-Kreation und karnevaleske Kanon-Kritik. Als solche spielen sie für die bulgarische Literatur von der nationalen Wiedergeburt bis zur Postmoderne, von der mystifizierten Volkslied-Sammlung der "Veda Slovena" bis zu den Fake-Anthologien der postsozialistischen Wendezeit, eine zentrale Rolle. Das Forschungsvorhaben setzt sich das Ziel, die normativen Funktionen und ästhetischen Spezifika dieser bulgarischen "Kunst der Anthologie" (S. Igov) komparatistisch zu erschließen, ausgehend von Pencho Slavejkovs fiktiver Anthologie und Pseudo-Übersetzung "Auf der Insel der Seligen" (Na Ostrova na blazhenite, 1910) als einem Kerntext der europäischen Moderne. Es geht den folgenden Fragestellungen nach: Welche Funktion erfüllt das Spiel mit der Anthologie epochenübergreifend für die innernationale Kanon-Bildung der bulgarischen Literatur in Zeiten ästhetischen Paradigmenwandels? Wie lassen sich die jeweiligen Anthologie-Projekte komparatistisch in die post/moderne Mystifikationsästhetik mit ihrer Problematisierung von Autorschaft, Originalität und Plagiat einpassen? Inwiefern können sie im Sinne der postkolonialen Kulturtheorie als eine Mimikry-Strategie interpretiert werden, anhand derer Konzepte des Eigenen und des Fremden aus der Perspektive der kulturellen Peripherie gattungstheoretisch durchgespielt werden? Das Forschungsprojekt realisiert dieses Ziel durch eine diachrone Studie fiktiver Anthologien in der bulgarischen Literatur von der Wiedergeburt bis in die Postmoderne. Gleichzeitig positioniert es die bulgarischen Anthologie-Spiele innerhalb der Mystifikationsmatrix der europäischen Literaturen, von James Macphersons Erfindung des gälischen "Ossian" in englischer Übersetzung (1760-1765) bis zu Valerij Brjusovs erdichteten "Russischen Symbolisten" (1894-1895). Das Forschungsprojekt leistet damit einen Beitrag zu Bulgaristik und Slavistik, der von Relevanz ist auch für die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, indem es einen komparatistisch bis dato eher randständigen Objektbereich erschließt und ihn anschließt an aktuelle Theoriebildung im Bereich nationaler und weltliterarischer Kanonbildung, Mystifikationstheorie und Pseudoübersetzung.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen