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Anti-modernes Andersdenken in Russland
Antragsteller
Dr. Michael Hagemeister
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2014 bis 2019
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 263488320
Das anti-moderne Andersdenken gehört zur Geschichte der oppositionellen Diskurse in Russland. Mit seinem Insistieren auf Ganzheit(lichkeit) oder Integrität wendet es sich dezidiert gegen die westeuropäische Moderne, die als Auflösung und Zerstörung der 'ganzheitlichen Kultur" (celostnaja kurtura) des christlichen Mittelalters verstanden wird. Die bedrohte bzw. verlorene ursprüngliche Einheit, so die Grundvorstellung dieses holistischsynthetisierenden Denkens, müsse bewahrt bzw. wiederhergestellt werden. Dazu sei gerade Russland prädestiniert. Obwohl sich durchaus Berührungspunkte mit der ideokratischen Sowjetzeit ergaben, geriet dieses Denken durch seinen Universalitätsanspruch oftmals in Konflikt mit dem herrschenden Diskurs der Macht (des Staates, der institutionalisierten Kirche, der offiziellen Ideologie). Damit erweist es sich als Andersdenken (inakomyslie) in Bezug sowohl auf den fremden 'Westen" als auch auf die im eigenen Land akzeptierten und propagierten Normen bzw. (Selbst-)Beschreibungen der Gesellschaft. Das Projekt will diesen mehrfachen Bezügen nachgehen und die wesentlichen Konzepte des Andersdenkens mit seinen Annahmen, Traditionen und Diskursbesonderheiten, die bisher in ihrer Gesamtheit nicht erforscht sind, untersuchen. Die Rekonstruktion der 'inneren Zusammenhänge" zwischen Ansätzen, die auf den ersten Blick wenig gemein haben und daher auch nicht gemeinsam analysiert wurden, verspricht nicht nur Aufschluss über einen bestimmten für Russland höchst spezifischen Denktypus, sondern auch Erkenntnisse über zentrale Grundmuster und Besonderheiten der russischen Kultur jenseits der überkommenen westlichen Interpretationsmodelle und Zuschreibungen. Ausgehend von der dualistisch konstruierten Kulturtypenlehre Pavel Florenskijs und Aleksej Losevs wird im ersten Teil der Studie nach den Impulsen und Zielvorstellungen ihrer ,,monistischen Weltanschauung" gefragt, doch auch nach Parallelen bei anderen Denkern wie Vladimir Solov'ev, Aleksandr Bogdanov, Nikolaj Berdjaev und Valerian Murav'ev. Wie das synthetisch- holistische Streben nach Aufhebung aller Trennung als alternatives Denken in der Abgrenzung und Affinität auf die 'offizielle" Ideologie und Religion bezogen war und wie es trotz Marginalisierung und Unterdrückung in der Sowjetzeit als Unterströmung weiterwirkte, wird ebenfalls zu untersuchen sein. Der zweite Teil befasst sich mit der Aktualität dieses Denkens im postsowjetischen Russland, wo es nicht nur in engen Zirkeln auf mitunter hohem theoretischem Niveau diskutiert wird ('Neo-patristische Synthese", 'politischer Hesychasmus", 'Neo-Byzantinismus"), sondern gerade auch in trivialisierter Form (Filme, Zeitschriften) höchst populär ist. Zum Verständnis des heutigen Russland liegt in der Analyse dieses Denkens daher ein wichtiger Schlüssel.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen