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Schizophrenie und Elternschaft: Belastungen und Bewältigungsstrategien in Familien mit einem psychisch kranken Elternteil

Subject Area Personality Psychology, Clinical and Medical Psychology, Methodology
Term from 2006 to 2010
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 26948529
 
Final Report Year 2010

Final Report Abstract

Zielsetzungen: Im Mittelpunkt der Studie stand das bislang wenig untersuchte Thema der Elternschaft bei schizophrenen Patienten. Es wurden eine Vielzahl von Fragestellungen untersucht, v.a. hinsichtlich Elternschaftsrate, Partnerschaftsqualität, Lebenszufriedenheit, Belastungen, Belastungsverarbeitung, Belastungsfolgen und Hilfebedarf. Insbesondere sollten auch Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen familiären Systemebenen analysiert werden. Methoden: In der epidemiologischen Teilstudie wurden 370 Patienten mit den ICD- Diagnosen F20 bzw. F25 (Schizophrenen bzw. schizoaffektive Störung) im Hinblick auf das Vorliegen von Elternschaft untersucht. In der weiterführenden Familienstudie wurden 57 schizophren bzw. schizoaffektiv erkrankte Eltern, deren Partner sowie minderjährige Kinder mit Hilfe quantitativer und qualitativer Verfahren befragt. Ergebnisse: Von 370 stationär behandelten schizophrenen Patienten waren 26,5% Eltern, wobei Frauen etwa dreimal so oft Kinder hatten wie Männer. Von den Patienten mit Kindern leben 41% mit diesen im selben Haushalt zusammen. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zeigte sich bei schizophrenen Patienten eine signifikant geringere Lebenszufriedenheit in allen Bereichen. Positiv wirkt sich indes das Vorhandensein einer Partnerschaft aus. Bei den Kindern schizophren erkrankter Eltern lassen sich gravierende Belastungen feststellen (z.B. Unkontrollierbarkeit von Alltagssituationen, instabile Familienstrukturen, Trennungserfahrungen). Hinsichtlich der Belastungsverarbeitung zeigen die Kinder im Vergleich zur Normstichprobe weniger häufig „Ablenkung und Erholung“, ein hohes „soziales Unterstützungsbedürfnis“ und signifikant erhöhte Werte der „Aggression“. Im fallkontrastiven Vergleich konnten drei wesentliche Bewältigungsformen der Kinder herausgearbeitet werden: Aggressives Coping (Typ 1), kontrollierendes Coping (Typ 2) und moderates Coping (Typ 3), wobei Typ 1 und Typ 2 als dysfunktionale Strategien gelten können. Ein Zusammenhang zwischen ungünstiger Stressbewältigung und psychischen Auffälligkeiten bei den Kindern schizophren erkrankter Eltern konnte nachgewiesen werden. Auch schizophren erkrankten Eltern sowie deren Partner zeigen mehr dysfunktionale und weniger positive Copingstrategien. Der Anteil der unsicheren Bindungsstile ist in der Patientenstichprobe deutlich erhöht; besonders häufig sind ambivalent-verschlossene Bindungsmuster. Akzeptanzprobleme und geringe Öffnungsbereitschaft der Patienten wirken sich negativ auf die Partnerschaftsqualität aus. In fallrekonstruktiven Analysen ergaben sich charakteristische subjektiver Bedeutungsmuster: Erkrankte erleben ihre Elternrolle sowohl als Ressource als auch als Belastung. Paar- und Familienbeziehungen weisen ein hohes Risiko für Beziehungsabbrüche auf und werden oft als stark beeinträchtigt beschrieben. Normalisierungs- und Vermeidungsstrategien können dazu beitragen, dass die Erkrankung zu einem Tabuthema wird. Viele Kinder sind daher unzureichend über die elterliche Schizophrenie informiert. Sie sind in dieser Situation oft überfordert und entwickeln ihrerseits Verhaltensauffälligkeiten, Ängste und Depressionen. In der untersuchten Stichprobe weisen Kinder ein etwa 3-fach erhöhtes Risiko für eigene psychische Auffälligkeiten auf. Diskussion: Die Befunde zeigen, dass schizophrene Patienten zwar seltener Kinder haben als Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen, aber keineswegs eine Marginalgruppe darstellen. Eine Schizophrenie kann insofern als „Familienerkrankung“ gedeutet werden, als sie das gesamte Familiensystem beeinflusst, belastet und gefährdet. Die Belastungen und Bewältigungsstrategien der Familienmitglieder sind in komplexer Weise miteinander verzahnt und können adäquat nur im Gesamtzusammenhang verstanden werden. Notwendig sind weitere Familienstudien mit systemischen Designs. In der psychiatrischen und psychosozialen Praxis sollten Betroffene mit Kindern viel stärker in ihrer Rolle als Eltern wahrgenommen werden. Präventive Hilfeangebote für Kinder sollten familienorientiert konzipiert sein.

Publications

  • (2008). Coping bei Kindern schizophren erkrankter Eltern - eine täuschend gute Bewältigung. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 735-756
    Kuhn, J. & Lenz, A.
  • (2008). Zwischen Verantwortungsübernahme und Autonomieentwicklung: Jugendliche mit einem psychisch kranken Elternteil. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 57, 757-773
    Stelling, K., Habers, I. & Jungbauer, J.
  • (2009). Kinder psychisch kranker Eltern. Belastungen, Bewältigungen und präventive Maßnahmen. In A. Kröhnert (Hrsg.), Die Jugend(hilfe) von heute. Helfen mit Risiko. Köln: Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren. 241-248
    Kuhn, J. & Lägel, I.
  • (2010). Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Forschungsbefunde und Perspektiven für die Soziale Arbeit. Opladen: Barbara Budrich Verlag
    Jungbauer, J.
  • (2010). Familien mit schizophren erkrankten Eltern – Sichtweisen von Betroffenen, Partnern und Kindern. In J. Jungbauer (Hrsg.), Familien mit einem psychisch kranken Elternteil. Forschungsbefunde und Perspektiven für die Soziale Arbeit (S. 47-93). Opladen: Barbara Budrich Verlag
    Kinzel-Senkbeil, J. & Jungbauer, J.
  • (2010). Lebenszufriedenheit und subjektive Relevanz von Lebensbereichen bei schizophren Erkrankten. Welche Bedeutung haben Partnerschaft und Elternschaft? Fortschritte der Neurologie ? Psychiatrie, 78, 147-153
    Hinz, A., Kuhn, J., Decker, O., Lenz, A., Jungbauer, J.
  • (2010). Schizophrenie und Elternschaft: Belastungen und Ressourcen aus der Sicht psychisch kranker Mütter und Väter. In: Bundesarbeitsgemeinschaft der Kinderschutz-Zentren (Hrsg.), Kindheit mit psychisch belasteten und süchtigen Eltern. Kinderschutz durch interdisziplinäre Kooperation. Köln: Die Kinderschutz-Zentren
    Jungbauer, J.
  • (2010). Zur Prävalenz von Elternschaft bei schizophrenen Patienten. Gesundheitswesen, 72
    Jungbauer, J., Kuhn, J. & Lenz, A
    (See online at https://doi.org/10.1055/s-0030-1252038)
  • (2010): Forschungsprojekt „Schizophrenie und Elternschaft“. Coping in Familien mit schizophren erkrankten Eltern. Jugendhilfe, 49 (2), 77-81
    Kuhn, J., Lenz, A. & Jungbauer, J.
  • (2010): Wie erleben schizophren erkrankte Mütter und Väter ihre Elternschaft? Ergebnisse einer qualitativen Studie. Psychiatrische Praxis, 37, 233-239
    Jungbauer, J., Stelling, K., Kuhn, J. & Lenz, A.
 
 

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