Absolute Armut und globale Gerechtigkeit - eine systematische Aufarbeitung des Zusammenhangs aus sozialethischer Perspektive
Final Report Abstract
Angesichts der enormen Anzahl von Menschen, die in absoluter Armut leben müssen, war es das Anliegen des Forschungsprojektes „Absolute Armut und Globale Gerechtigkeit", einen wissenschaftlichen Beitrag zur nachhaltigen Reduktion absoluter Armut in Form einer interdisziplinären sozialethischen und entwicklungsökonomischen Untersuchung zu leisten. Neben vielen Publikationen konnte insbesondere durch die Durchführung einer internationalen Konferenz, die Herausgabe des Erfurter Manifests sowie durch ein Symposium mit Amartya Sen eine breite öffentliche Rezeption der Ergebnisse erreicht werden. 1. Die theologischen Grundoptionen für eine Ethik globaler Gerechtigkeit sind die auf dem christlichen Personenverständnis beruhenden Konzepte der Menschenwürde, der Einheit und Gleichrangigkeit aller Menschen sowie der genuin christlichen „Option für die Armen". Da alle Menschen Mitglieder einer globalen Solidargemeinschaft sind, wird ein subsidiärer Kosmopolitismus befürwortet. In globalethischen Fragen der Armutsbekämpfung argumentiert christliche Ethik parallel und vertiefend zu säkularen Menschenrechtsethiken und Gerechtigkeitstheorien. Die ökonomische Analyse von Armut zeigt, dass die üblichen Methoden zur Armutsmessung und die Verwendung einer absoluten Armutslinie nicht-monetäre Formen von Armut ebenso wie die Einkommensverteilung zu wenig beachten, obwohl insbesondere wachsende Ungleichheiten den armutsreduzierenden Effekt von Wirtschaftswachstum zurzeit stark reduzieren. Um die große wohlfahrtsökonomische Bedeutung von Verteilungsaspekten stärker zu betonen, werden neue, um eine Verteilungskomponente erweiterte Indikatoren zur Armutsmessung vorgeschlagen. Die moralkulturelle Analyse weltanschaulicher Voraussetzungen für Armutsbekämpfung betont, dass ethische Normen globaler Gerechtigkeit nur dann relevant werden können, wenn unterschiedliche religiöse und kulturelle Weltanschauungen in ihre Konzeptionierung und Begründung diskursiv mit einbezogen werden und die gemeinsamen Nonnen in ihren jeweiligen lokalen ethisch-motivationalen Ressourcen fundieren. Eine solche Strategie wird immer diejenigen selbstreflexiven Prozesse einer Kultur unterstützen, welche die eigenen Traditionen kritisch auf ihre armutspersistierenden oder -überwindenden Auswirkungen überprüfen. 2. Die Begründung einer nach diesen Maßgaben angelegten globalen Verantwortung lässt sich entweder (a) aus den Menschenrechten ableiten oder (b) aus dem Gedankenmodel des herrschaftsfreien Diskurses und der gerechtigkeitstheoretischen Konsensfindung gekoppelt mit prinzipiellen Kriterien rekonstruieren. Bei der Konstruktion eines derartigen hypothetischen globalen Konsenses sind die Interessen der am meisten Benachteiligten (und von Mitbestimmung ausgeschlossenen) Menschen im advokatorischen Sinne besonders zu beachten. Ein ethisches Konsensparadigma zur Inklusion Armer wird eine institutionelle Grundordnung befürworten, welche Arme nicht nur mit Grundgütern ausstattet (Thresholdtheorie), sondern es ihnen ermöglicht, ihre ureigenen Grundfähigkeiten subsidiär und mit Hilfe global gestufter Solidarität zu entwickeln, so dass sie nachhaltig inklusionsfähig werden (ethische Entwicklungstheorie). Nur eine übergreifende globale institutionelle Grundordnung (ökonomischer, sozialer und politischer Institutionen) ist in der Lage, ungerechte Verteilungseffekte nachhaltig zu korrigieren und positive Anreizwirkungen für einen ausreichenden Kapitalstock in den am wenigsten entwickelten Ländern zu bieten. Die Verantwortungszuschreibung innerhalb der verästelten globalen Wirkzusammenhänge wird sich in ihrer Art und Extensität an dem Idealbild einer subsidiär, nach den Möglichkeiten und Chancen der einzelnen Akteure, gestuften Verantwortung aller Menschen orientieren. Da es für nachhaltige Armutsminderung keine Alternative zu diesen globalen institutionellen Korrekturen gibt, dürfen nationale Solidaritätspflichten keinesfalls gegen transnationale Solidarität ausgespielt werden, sondern gelten als elementare Bedingung der Möglichkeit für die Wirksamkeit einer erweiterten globalen Solidarität. 3. Die konkrete Implementierung der ausgearbeiteten Armutsbekämpfungsstrategie erfolgt durch Institutionen, Märkte und solidarische Hilfeleistungen: (1) Politische Institutionen müssen auf nationaler Ebene die Rahmenbedingungen für eine Selbstentwicklung aus Armut schaffen und auf transnationaler Ebene stabile, faire und armutsfokussierte Rahmenbedingungen für globale Interaktionen verwirklichen. (2) Wenn die richtige Funktionsweise von Marktmechanismen institutionell gewährleistet ist (wechselseitiger Vorteil im Sinne eines pro-poor growth), erhalten Märkte und privatwirtschaftliche Akteure gemäß des Subsidiaritätsprinzips als handlungskräftige Akteure einen heuristischen Vorrang. (3) Dort wo die Möglichkeiten des Marktes aufgrund mangelnder Anfangsausstattung nicht greifen, ist von internationalen Institutionen die Organisation globaler Solidarität im Sinne eines globalen Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzips zu übernehmen. Insgesamt weisen die empirischen und religionsökonomischen Ergebnisse des Forschungsprojektes eine erstaunliche Korrelation zur globalen Normtheorie der christlichen Sozialethik auf, die parallel entwickelt wurde. In analoger Weise werden Gleichheit, Einkommensangleichung und die Verfügbarkeit von öffentlichen Gütern ebenso wie eine globale Wohlfahrtsangleichung gefordert, weil sie nicht nur die empirische Voraussetzung für die Beseitigung von absoluter Armut sind, sondern auch die ethischen Instrumente einer globalen ethischen Gerechtigkeitstheorie. Es konnte letztlich empirisch nachgewiesen werden, dass ethisch als negativ zu kritisierende Zustände wie übergroße globale Ungleichheit auch ökonomisch als wohlfahrtshemmend anzusehen sind. Diese Parallelität von Empirie und Normativität - auch im globalen Kontext - ist wohl als das wesentliche Ergebnis des Forschungsprojektes anzusehen.
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