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Developmentality in Südosteuropa: Die Evolution des Entwicklungsdiskurses in Bulgarien und der Türkei in der Verkehrsinfrastrukturdebatte (1908-1989)

Antragsteller Dr. Malte Fuhrmann
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2016 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 290815861
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Wenn Menschen über Verkehrsinfrastruktur reden, kommen hierin häufig Hoffnungen und Ängste über die Zukunft zum Ausdruck. Insbesondere in Südosteuropa wird oft zugleich ein Rückstand gegenüber den internationalen Standards der Zeit beklagt, den es aufzuholen gelte. Diese Hoffnungen und Befürchtungen können politisch mobilisiert werden. Das Projekt ging dem historischen Entstehen dieses Diskurses in der Türkei und Bulgarien sowie ihren Vorgängern, dem Osmanischen Reich und seiner bulgarisch geprägten Donauprovinz, nach. Es stellte sich heraus, dass der Zusammenhang zwischen neuer Verkehrsinfrastruktur und der Erwartung zukünftigen Wohlstandes älter ist, als zunächst angenommen. Bereits um 1839 und 1856 stellten die reformorientierten osmanischen Bürokraten die Behauptung auf, durch neue Landstraßen, Kanäle und Eisenbahnen in kurzer Zeit eine Hebung des Lebensstandards zu erreichen. Dies scheiterte jedoch an Korruption, Inkompetenz und Geldmangel, sodass die Großwesire ab den späten 1860ern zunehmend auf Konzessionen an ausländische Investoren setzten, wodurch jedoch eine verstärkte Abhängigkeit von imperialistischen Mächten drohte. Um dies zu verhindern, setzte der Großwesir Midhat Pascha, der zuvor erfolgreich die Donauprovinz durch ein Straßenbauprogramm erschlossen hatte, das die Landbevölkerung in illegalem Maße ausgebeutet hatte, auf ein staatlich gelenktes Bahnbauprogramm und zugleich auf umfangreiche Propaganda zum Wert der infrastrukturellen Maßnahmen. Nachdem Midhat aus der Politik entfernt wurde, setzte das 1878 neu entstandene Bulgarische Fürstentum auf Midhats Prinzip der infrastrukturellen Autarkie und verstaatlichte 1885 sämtliche Bahnen mit der Ausnahme der Orientbahn, deren Hauptbesitzer, die Deutsche Bahn, sich bis 1908 widersetzte. So wurde die Orientbahn zum inneren Feind Bulgariens, dem man das Ausbleiben des versprochenen Wohlstands aufgrund seiner profitorientierten Interessen und seinem Fremdsein anlasten konnte. Das Osmanische Reich unter Abdülhamid II. hingegen setzte beim Bahnausbau vor allem auf die Deutsche Bank, was das Land in die Abhängigkeit von Deutschland trieb. Zugleich hatte es Midhats Zwangsmittel und Ausbeutung im Straßenbau perfektioniert und zur inneren Kolonialisierung eingesetzt, um einen starken Staat zu kreieren, der seine Macht unter Berufung auf die Sicherheit gegen die eigenen Untertan*innen einsetzen konnte.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Konstantinopel – Istanbul. Stadt der Sultane und Rebellen, Frankfurt (M.): S. Fischer 2019, 21- 33, 66-69, 154-162, 241-251, 309-317, 348-354, 359-366, 369-373
    Malte Fuhrmann
  • PPort Cities of the Eastern Mediterranean. Urban Culture in the Late Ottoman Empire, Cambridge: University Press 2020, 43-92, 345-357.7
    Malte Fuhrmann
  • „Developmentality in Bulgaria and Turkey. Legitimacy, Resistance, and Traffic Infrastructure“, bei Infrastructure in East and Southeast Europe in Comparative Perspective, Universität Regensburg
    Malte Fuhrmann
  • Save Haydarpaşa. The City and the Railway in the World from the Nineteenth Century to the Present, 241-255. Routledge.
    Fuhrmann, Malte
  • “The Great Infrastructural Reshuffle: Levantine Cities in the Face of Change, 1830-1930,” bei AISU Congress, Turin
    Malte Fuhrmann
  • „Developmentality: Infrastructure as Nexus between Air and Earth, Past and Future, Power and Resistance“ (Keynote) bei Rethinking Infrastructure: Cultural Perspectives, Universität Konstanz
    Malte Fuhrmann
  • „‘Assisting in the Work of His Own Civilization.’ Corvée Labor on Roads from the Tanzimat to post-1878 in Bulgarian and Ottoman Lands“ bei Post-Ottoman Transformations 1, Universität Bamberg
    Malte Fuhrmann
  • 16.-18. März 2023 „Roads to Happiness. Traffic Infrastructure, Power, and Resistance in Southeast European Politics and Culture“ (Konferenz), Humboldt Univ.
    Malte Fuhrmann
  • „Petitioning for Penetration. Railway Populism from Below in Turn-of-the- Century Bulgaria“ bei European Social Science History Conference, Göteborg
    Malte Fuhrmann
 
 

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