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Higher Education Expansion and the Academization of Employment

Subject Area Education Systems and Educational Institutions
Term from 2016 to 2021
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 316178294
 
Final Report Year 2021

Final Report Abstract

Statistische Befunde zum Verhältnis von Hochschulexpansion und Akademikerbeschäftigung zeigen, dass entgegen allen Vorhersagen die Arbeitswelt über eine erstaunliche Fähigkeit zur Aufnahme und angemessenen Platzierung der zunehmenden Anzahl von Hochschulabsolventen verfügt. Diese gleichsam „bedarfsgerechten“ Situation lässt sich mit bildungsökonomischen Argumenten, sowohl im Rückgriff auf den Arbeitskräftebedarfsansatz als auch im Rückgriff auf die Humankapitaltheorie, nicht oder nur zum Teil erklären. Im Projekt wird hingegen ein Erklärungsansatz verfolgt, nach dem in der Arbeitswelt Stellen sowie berufliche Handlungsfelder und Zuständigkeiten auch als Effekt der Ausdehnung akademischer Bildung und entsprechender Studienprogramme erzeugt bzw. transformiert werden. Die Akademisierung ergreift demnach nicht nur das Arbeitsvermögen, d.h. die Arbeitskräfte, sondern auch eine daran gekoppelte Akademisierung der Arbeitsplätze, d.h. der Stellen und der entsprechenden beruflichen Handlungsfelder. Es wurde im Projekt untersucht, wie dieser allgemeine, einem hohen ‚Aggregationsniveau‘ zugeordnete Zusammenhang sich in einzelnen akademischen Berufsfeldern konkret durchsetzt. Dazu wurden Fallstudien in drei Bereichen durchgeführt. Diese nahmen zum einen drei anwendungsbezogene Studienprogramme in den Blick und zum anderen die entstehenden beruflichen Handlungsbereiche, die sich deren Absolventen eröffnen: Angewandte Informatik, Lerntherapie und Frühpädagogik. Die Akademisierung im Bereich der Lerntherapie beruht auf einer Reklassifikation, die die bisherige Zuständigkeit der Lehrer für schulische Minderleistungen der Schüler durch eine therapeutische Problem- und Zuständigkeitsdefinition ersetzt, nach der Minderleistungen als Lernstörungen behandelt werden. Diese Reklassifikation ist geprägt durch eine grundlegende Konfliktstruktur, in der sich zwei wissenschaftliche Disziplinen – Pädagogik und Psychologie –, daraus jeweils abgeleitete Studiengangsprogrammtypen und jeweilige Interessenverbände in ihrem Kampf um Zuständigkeit gegenüberstehen. Der Ausgang des Konflikts ist derzeit offen. Zugleich befindet sich diese konfliktgeprägte Akademisierung in einer symbiotischen Beziehung zur bislang allein im Feld zuständigen Lehrerrolle: Die Lehrer können bisherige Problemschüler nun als Leistungsgestörte in die berufliche Zuständigkeit der Lerntherapeuten abgeben. In der Frühpädagogik haben wir es mit einem Typus der Akademisierung zu tun, der dadurch charakterisiert ist, dass die Erwartungen an die akademisierte Erziehungsarbeit, die sich mit dem Studium und dessen Abschluss verbinden, in einem disparaten Verhältnis zu den faktischen beruflichen Handlungsproblemen der Erzieher in KITAS stehen. Im frühpädagogischen Studium, so zeigt sich, werden berufliche Handlungsorientierungen ausgebildet bzw. den Curricula sind Vorstellungen akademisierter Arbeit inhärent, die nicht auf die unmittelbare Kitapraxis zielen. Dies führt unter anderem dazu, dass die Absolventen der akademischen Studiengänge für Frühpädagogik sich zumeist der tatsächlichen Erziehungsarbeit in den KITAS entziehen. Statt dessen, so deutet sich an, entsteht ein neuer beruflicher Einsatzbereich im derzeit sich formierenden frühpädagogischen „Establishment“, das für Weiterbildung, Fachberatung, Evaluation, Supervision zuständig ist, und das sich in Bezug zur tatsächlichen Erziehungsarbeit vor Ort in den KITAS – um es mit einer Metapher von Derrida zu formulieren – ‚parasitär‘ verhält. Im Kontrast dazu steht die Akademisierung im Bereich der Angewandten Informatik, deren Absolventen in immer weitere berufliche Bereiche vordringen. Ihr gilt jedwedes berufliche Handeln als aus Handlungsmustern bestehend, deren Parameter sich informatisch modellieren und in Tools transformieren lassen. Am speziellen Fall der Digitalisierung der Sozialen Arbeit wurde dies näher in den Blick genommen. Das Vordringen der Angewandten Informatik in den Bereich der Sozialen Arbeit modifiziert die professionelle, beziehungsorientierte, auf individuelle Problemlösung ausgerichtete und im Kern interaktive Praxis der Sozialen Arbeit auf bislang unabsehbare Weise. Diese invasive Form der Akademisierung wird zugleich vorgestellt als Ausdruck eines gleichsam ‚objektiven‘ Sachzwangs, der einer unentrinnbaren Logik folge, der man sich nur anpassen könne. Aufs Ganze gesehen zeigt sich, dass die Akademisierung sich nicht schlicht als wissenschaftsgestützte ‚Rationalisierung´ des beruflichen Handelns durchsetzt, sondern in unterschiedlichen Logiken, die je eigene Widersprüche entfalten. In diesen systematischen Widersprüchen und Divergenzen zwischen neuartigen Hochschulausbildungen und den operativen Ebenen in der Berufswelt der entsprechenden ,neuen‘ Berufe kehrt sich das ,Theorie-Praxis-Problem‘ gewissermaßen um: Die allein auf die Einrichtung von Studienfächern ausgerichteten Wissenschaftsaktivitäten erfassen die von ihnen anvisierte berufliche Praxis in ihrer Struktur- und Handlungsspezifik nicht oder nur ungenügend. Die anwendungsbezogenen Studienprogramme definieren ihre zentralen Gegenstände unabhängig von den beruflichen Handlungsfeldern, auf die sie mit ihrer akademischen Berufsrolle abzielen, und ohne systematische Aufarbeitung der Probleme, die in der jeweiligen beruflichen Praxis konkret anfallen.

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