Katholische Schriftstellerinnen als Produkte und Produzentinnen 'katholischer Weiblichkeit'?
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In zwei Förderphasen untersuchte das Projekt, inwiefern die katholische Geschlechterordnung (Weiblichkeitsvorstellungen) in Prosawerken katholischer Schriftstellerinnen rekapituliert oder transformiert wurde. Zeitlicher Fokus war die antimodernistische Phase (ca. 1903 1958; 1. Förderzeitraum) und die neo-ultramontane Phase (ca. Mitte des 19. Jahrhunderts bis Beginn des 20. Jahrhunderts; 2. Förderzeitraum) des Katholizismus. Die zu untersuchende These ging davon aus, dass im Werk dieser Schriftstellerinnen, die nicht verbandskatholisch gebunden waren und vielmehr eine ungebundene heterogene Gruppierung darstellten, eine normabweichende katholische Pluralität dargestellt ist. Diese These hat sich im Wesentlichen bestätigt. Das Projekt zählt die Autorinnen dem "literarischen Katholizismus" zu. "Katholischsein" wird formal verstanden als Zugehörigkeit zur katholischen Kirche zu einer bestimmten Phase des Lebens. Hierüber wird weiter zu diskutieren sein. Den kirchlich-katholisch normierten Weiblichkeitsvorstellungen sind also kulturkatholische an die Seite zu stellen, die quer zu normkatholischen Vorstellungen lagen, nicht die Milieubindung brauchten und die dennoch "Katholizismus" darstellten. Die im Milieukatholizismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts beklagte Affinität katholischer Leser:innen für Publikationen aus nicht-katholischen Verlagen bezeugt diese Bandbreite katholischer Selbstverortung. Sie macht Bruchlinien zum "Gut-Katholischen" sichtbar. Und genau hier hat das Milieu seine Grenze, nicht aber der Katholizismus. Die drei im Projekt vorgelegten Monographien dekonstruieren Normvorstellungen zu "katholischer Weiblichkeit" in Theologie und Lehramt, sie analysieren umfassend Prosawerke von 30 Autorinnen und erörtern auf aktuellem Forschungsstand (kirchen-) historische Kontexte (Kulturkatholizismus, Reformkatholizismus, Literaturstreit). Der Literaturstreit erweist sich nicht als literaturwissenschaftliche Zäsur. Die Vorbehalte gegenüber katholischer Literatur blieben, und die Qualität katholischer Prosawerke wurde nicht einfach besser. Allerdings schuf Karl Muth im „Hochland“ eine Kulturzeitschrift, die die Diskurslage hin zur Etablierung eines Kulturkatholizismus veränderte und zugleich die theologischen und kirchlichen (intransigenten) Interessen der Verteter:innen katholischer Tendenzliteratur (Kulturkritik, Nationalismus, Modernefeindschaft und Gegnerschaft gegenüber reformkatholischer Impulse) offenlegten. Dass Muth selbst (und auch in Teilen das Hochland) konservativ, nationalistisch und elitär eingestellt war, bestätigt das Projekt ein weiteres Mal. Die Bände 1 und 3 des Projektes gewähren zudem Einblick in die relationale „Erfurter Schriftstellerinnen-Datenbank“, die 164 Schriftstellerinnen umfasst und mittels derer hochkomplexe Abfragen in SQL möglich sein werden. Die Entwicklung einer entsprechenden Benutzermaske kann derzeit nicht angegangen werden. Dauerhaft soll sie jedoch auf der Seite der „Forschungsstelle Sprachkunst und Religion“ der Universität Erfurt zur Verfügung gestellt werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Literatur – Gender – Konfession. Katholische Schriftstellerinnen Bd. 1: Forschungsperspektiven, Regensburg 2018. (1. Förderphase)
Jörg Seiler
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Literatur - Gender – Konfession. Katholische Schriftstellerinnen Bd. 2: Analysen und Ergebnisse, Regensburg 2020. (1. Förderphase)
Antonia Leugers
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Literatur – Gender – Konfession. Katholische Schriftstellerinnen Bd. 3: Katholischer Literaturstreit, ,Hochland‘ und München als Referenzpunkte, Regensburg 2024. 2. Förderphase
Jörg Seiler
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Die ‚Priesterin‘ Doralice. Über eine liturgische Leerstelle in Ida Hahn-Hahns Roman ‚Doralice‘ (1861), in: Stefan Böntert, Christopher Tschorn, Stephan Winter (Hgg.), Grenzgänge. Beiträge für eine Liturgiewissenschaft zwischen akademischem Diskurs, pluraler Kultur und kirchlichem Leben [FS Kranemann], Münster 2025, S. 249-255
Jörg Seiler
