Penal cultures on the Continent. France and Germany in comparison
Final Report Abstract
In dem Projekt „Strafkulturen auf dem Kontinent – Frankreich und Deutschland im Vergleich“ sind wir der Frage nachgegangen, welche Rolle Strafe und Bestrafung in diesen beiden Gesellschaften derzeit spielen. Entsprechend dem Ansatz der internationalen Punishment & Society-Forschung haben wir die Bedeutung von Strafe und den Umgang mit Kriminalität in verschiedenen gesellschaftlichen Feldern und auf verschiedenen Analyseebene untersucht. In der international vergleichenden Forschung werden Gesellschaften häufig anhand von Merkmalen mehrerer Felder auf der Makroebene miteinander verglichen. Die Akteursebene wird eher nur bei der Analyse einzelner Länder und dort beschränkt auf einzelne Felder betrachtet. In unserem Projekt haben wir die gesellschaftlichen Felder Bevölkerung, Politik und Medien mit einem mixed-methods Ansatz untersucht und dabei auch die Perspektive von Akteur:innen aus jedem Feld einbezogen. Ausgangspunkt dieser Untersuchungsteile war ein vergleichender Überblick über das Sanktionenrecht, das Strafverfahren und statistische Kennzahlen zur Strafverfolgung in beiden Ländern. Es wurden dann in jedem Feld mit quantitativen und qualitativen Methoden Daten erhoben. Zum Teil wurden die Methoden für dieses Projekt entwickelt (quantitativer Längsschnittvergleich von Gesetzesänderungen) oder für die kriminologische Forschung adaptiert („Kartenspiel“ als non-direktive Interviewmethode zur Erhebung von Begründungen für Strafzumessungsentscheidungen; quantitativer Längsschnittvergleich von Schlagzeilen aus der Tagespresse zur Analyse der Bedeutung von Kriminalitätsthemen). Im Ergebnis finden wir zwar im Detail eine ganze Reihe Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich, aber vor allem sehr viele Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten. Unsere Befunde stützen die These einer „penal moderation“, also einer fortgesetzten Mäßigung im Bereich des Strafens im Vergleich zum angloamerikanischen Raum, und können näher erklären, wie sie funktioniert. Diese Mäßigung ist in allen drei gesellschaftlichen Felder zu finden und dort jeweils tief verankert. Das zeigt sich in den differenzierten und häufig individualisierten Strafzumessungsentscheidungen der Bevölkerung, in den Interviews mit Politiker:innen und Journalist:innen in einem Festhalten an rationaler Kriminalpolitik und dem Resozialisierungsprinzip sowie in dem Befund, dass es neben vielen punitiven Gesetzesänderungen auch einen Anteil von Änderungen gibt, die Strafrecht begrenzen oder insofern neutral sind. Diese Mäßigung wird aber in allen gesellschaftlichen Feldern immer wieder herausgefordert und ist damit dauerhaft unter Druck: So zeigen sich bei den Strafzumessungsbegründungen von Lai:innen in Fällen mit Sexualstraftaten und Terrorismus stärker vergeltende und ausschließende Argumentationen und auch von Politiker:innen und Journalist:innen werden bestimmte besondere Geschehnisse als Anlässe für kriminalpolitische Debatten und ausführliche Berichterstattung gesehen. Zudem beziehen sich diese beiden Gruppen auf die gegenseitigen Erwartungen sowie auf die vermuteten Erwartungen der Wähler:innen bzw. des Publikums, dem eher eine strafbefürwortende Haltung unterstellt wird und bei dem Journalist:innen auch davon ausgehen, dass es aufgeklärt werden soll. Im Längsschnittvergleich der Strafgesetzgebung für die vergangenen 25 Jahre finden wir sowohl in Deutschland als auch in Frankreich bei der Mehrzahl der Änderungen eine Ausweitung des Strafrechts. Ähnlich ist es bei der Entwicklung der Schlagzeilen der Tagespresse: Kriminalitätsthemen sind dort wichtiger geworden und kommen häufiger vor. Das gilt vor allem für die Boulevardpresse in Deutschland und die stärker von Boulevardisierung betroffene Presse in Frankreich, aber auch für traditionelle Qualitätszeitungen. Zugleich grenzen sich Journalist:innen aus diesem Segment in Deutschland deutlich vom Boulevard ab und sehen ihre Arbeit auch als Gegengewicht. Die „penal moderation“ in Deutschland und Frankreich ist damit nicht statistisch und gesichert, sondern eine verlangsamte und im Vergleich zum anglo-amerikanischen Raum unaufgeregtere Ausweitung des Strafrechts und Verschärfung der strafrechtlichen Praxis. Diese recht ruhige Entwicklung der Bedeutung von Strafe und Bestrafung ist jedoch einem dauerhaften Druck ausgesetzt, momentanen Aufregungen und punitiveren Forderungen nachzugeben.
Publications
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