Detailseite
Projekt Druckansicht

Publikumsfragmentierung durch Informationsintermediäre

Fachliche Zuordnung Publizistik und Kommunikationswissenschaft
Förderung Förderung von 2016 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 323196109
 
Erstellungsjahr 2022

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Tiefgreifende Veränderungen in der Medienlandschaft führen zu einer Anpassung des Nachrichtenkonsums an digitale Informationsumgebungen. Intermediäre wie Facebook oder Google erlangen zunehmend Meinungsbildungsrelevanz und haben sich im Nachrichtenrepertoire der Nutzer fest etabliert. Die Folgen algorithmischer Kuratierung für den Nachrichtenkonsum werden dabei sehr kontrovers bewertet. Denn einerseits gibt diese Entwicklung Rezipienten selbst mehr Wahlfreiheit, ihre existierenden eigenen Vorlieben in der Mediennutzung umzusetzen. Andererseits gewinnen durch die Implementierung von Algorithmen Plattformen an Macht, die mit einer Reihe von Risiken verbunden sind. Sie reichen über Diskriminierung, Manipulation, den Missbrauch von Markt- und Meinungsmacht bis hin zu Verletzungen der Privatsphäre. Die mögliche Folge einer algorithmischen Kuratierung der Nachrichtennutzung sind zwei entgegengesetzte Entwicklungen: Wenn Menschen ohnehin relativ ähnliche Interessen haben, wenn die gewohnte Bindungskraft von Massenmedien stark bleibt und wenn Intermediäre allen NutzerInnen ähnliche Empfehlungen anbieten, ist die Auswahl der genutzten Inhalte ähnlich, und dann entstehen durch eine geteilte Weltsicht Anknüpfungspunkte, die Menschen zusammenbringen und die Gesellschaft verbinden. Wenn aber Menschen in ihren Interessen weit auseinanderliegen, wenn sie nicht mehr aus Gewohnheit Massenmedien nutzen und wenn Intermediäre sehr unterschiedliche Empfehlungen geben, dann unterscheidet sich die durch Nachrichten wahrgenommene Realität. BürgerInnen haben dann weniger gemeinsame Anknüpfungspunkte und die Gesellschaft verliert an Zusammenhalt. Es kommt zu einer Fragmentierung des Medienpublikums in viele, immer kleiner werdende Teilöffentlichkeiten oder auch zu mehr oder weniger abgeschotteten Meinungsblasen. Das Projekt konnte in einer repräsentativen Studie zeigen, dass Intermediäre sowohl Gemeinsamkeiten in der Nachrichtennutzung fördern als auch unterdrücken. Entscheidend für die Auswirkung ist, ob Nutzer regelmäßig und intensiv Intermediäre nutzen (dann sinkt die Vielfalt der genutzten Nachrichten), oder sie nur punktuell als Mittel nutzen, um Nachrichten zu finden (dann steigt die Vielfalt der genutzten Nachrichten). D.h. unterschiedliche Kuratierungslogiken entfalten in Abhängigkeit vorhandener Nutzungsmuster auch verschiedene Wirkungspotenziale. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die aktuelle Gefahr in Deutschland nicht in einem Auseinanderbrechen der Publika besteht, sondern vielmehr in einer Erosion an den Rändern: Die genutzten Nachrichteninhalte zerfallen nicht in zwei oder mehr gegeneinander gestellte Gruppen, sondern bilden einen konzentrierten Kern. Viele Nutzer lesen allerdings (online) selten oder gar keine Nachrichten, sodass sie, wenn überhaupt, nur schwach an diesen Kern angebunden sind. Gerade für diese Nutzergruppen gilt es Brückenangebote zu schaffen, beispielsweise über die öffentlich-rechtlichen Programme, so dass auch gesellschaftliche Vermittlungsleistungen weiterhin durch qualitätsvolle journalistische Inhalte erbracht werden. Es gilt eine Balance aufrechtzuerhalten, damit die infolge der Digitalisierung entstandene Angebotsvielfalt auch beim Nutzer ankommt und nicht durch menschliche oder automatisierte Selektionsentscheidungen beeinträchtigt wird. Zukünftige Forschung muss sich demnach sowohl auf individuelle als auch technisch induzierte Selektionsentscheidungen konzentrieren, um das Zusammenspiel unterschiedlicher Auswahl- und Kuratierungsprozesse auf Umfang und Inhalte der rezipierten Nachrichten adäquat zu messen. Je genauer dieses komplexe Wechselspiel untersucht wird, umso verlässlichere Ergebnisse liegen auch für medienpolitische Handlungsempfehlungen vor. Die nun vorliegenden Erkenntnisse bereichern deshalb nicht nur die gesamtgesellschaftliche Debatte über die Effekte von Algorithmen und die Relevanz von Intermediären für die Meinungsbildung, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Ableitung evidenzbasierter Regulierungsoptionen. Dieses Anliegen wurde auch in verschiedenen Kooperationen und Kontexten (u.a. mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, dem Mainzer Medieninstitut oder bei Anhörungen im Saarländischen Landtag) tatkräftig unterstützt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung