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Wirtschaftsräumliche Implikationen von Industrie 4.0 in relationaler Perspektive: Innovation, Evolution, Organisation und Interaktion; untersucht am Beispiel der deutschen Textilindustrie

Fachliche Zuordnung Humangeographie
Produktionssystematik, Betriebswissenschaften, Qualitätsmanagement und Fabrikplanung
Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2017 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 327127037
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die digitalisierte Warenproduktion im Sinne von Industrie 4.0 wird in Deutschland fortgesetzt von F&E-Institutionen, Branchenverbänden sowie der Politik propagiert. Dabei ist jedoch noch unklar, ob und wie sich die neuen Produktionstechnologien in verschiedenen Branchen durchsetzen werden, dort auf die unternehmerische Organisation und Innovation, die Arbeitsteilung in Werteketten und Produktionssystemen sowie die betriebliche Interaktion mit dem Standortumfeld wirken. Dieses DFG-Projekt hat im interdisziplinären Ansatz von Wirtschaftsgeographie, Wirtschafts-, Sozial- und Technologiegeschichte sowie Textilingenieurwesen für das in Deutschland nach wie vor wettbewerbsfähig operierende Branchenfeld technische Textilien konkret untersucht, welche historischen und von regionalen Kontexten geprägten Bedingungen die Implementation von Industrie 4.0 hier in spezifischer Weise beeinflussen. Übergreifendes Ziel war, die Forschungsmethoden der beteiligten Disziplinen zweckmäßig für eine vertiefte Untersuchung der wirtschaftsräumlichen, arbeitsorganisatorischen und wettbewerbsbezogenen Implikationen der Anwendung von Industrie 4.0-Technologien in Textilunternehmen einzusetzen bzw. zu kombinieren. Als konzeptioneller Rahmen, der wichtige Zusammenhänge begrifflich fasst und für alle beteiligten Disziplinen anschlussfähig erschien, diente der Ansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie: Er hat im Projektrahmen gestattet, das von neuen Technologietrends angetriebene Zusammenspiel von Innovation, Organisation, Interaktion und Evolution adäquat in seiner Raumwirksamkeit zu begreifen und der logisch konsistenten Erfassung zugänglich zu machen. Die Forschungsarbeiten umfassten neben Quellen- und Statistikrecherchen vor allem Ansätze der qualitativen empirischen Sozialforschung zur Untersuchung von drei Agglomerationen bzw. Clustern der Textilbranche: Aachen/Niederrhein, Münsterland und Westsachsen/Oberfranken. Die drei Projektbearbeiter haben - meist in Teamarbeit - leitfadengestützte Interviews mit Vertretern von insg. 38 Textilunternehmen geführt (alle Hauptstufen der textilen Wertekette wurden abgedeckt), dazu mit 25 sonstigen Experten (F&E, Regionalförderung, Verbände). Um Systemzusammenhänge zu klären und für die Entwicklung möglicher Zukunftsvisionen bzw. Szenarien zu nutzen, fand abschließend ein interaktiver Workshop mit rund 40 teilnehmenden Stakeholdern des Branchenfelds statt. Die Projektarbeiten bieten aufschlussreiche neue Erkenntnisse zum branchenspezifischen Umgang mit der Einführung von Industrie 4.0-Technologien. Es wird deutlich, wie stark historisch-evolutionäre Trajektorien, Traditionen und regionale Kontextbedingungen bis heute auf die Organisation sowie Innovations- und Interaktionsmuster der Textilindustrie wirken. Der starke Kosten- bzw. Wettbewerbsdruck früherer Krisen hat die Branche im Zuge ausdifferenzierter Produktionssysteme in die Nische der Fertigung technischer Textilien gedrängt. Dabei stecken Betriebe im Zuge hoch asymmetrischer B2B-Beziehungen im ‚supply-chain squeeze‘ zwischen einerseits machtvollen Faserlieferanten und andererseits anspruchsvollen Abnehmern technischer Textilien in diversen Branchen (wie Automobilindustrie, Medizintechnik, Luftfahrzeugbau). Die untersuchten Textilcluster zeigen markante Unterschiede bei regionaler Vernetzung und Marktorientierung. Der geschäftliche Druck und wachsende internationale Konkurrenz lassen aber in jeder Region kaum Kapazitäten und Finanzspielräume übrig für die Implementation neuer Produktionstechnologien. Digitale Komponenten werden allenfalls für einzelne betriebsinterne Abläufe eingeführt, ohne Wahrnehmung systemischer betriebsübergreifender Optimierungsmöglichkeiten. Tradierte Image-Probleme als ‚altindustrielle‘, niedergehende Branche behindern zudem die Rekrutierung junger, für Digitalisierung qualifizierter Fachkräfte in der Textilwirtschaft. Folglich sind noch erhebliche Anstrengungen nötig, vor allem Support durch lokale IT-Dienstleister und F&E-Partner, um die Anwendung von Industrie 4.0-Systemen in der Textilindustrie voranzubringen. Wenn dies gelingt, erscheint ein optimistisches Szenario verbesserter Produktionskoordination über die Wertekette, attraktiverer Arbeitsbedingungen sowie gesteigerter internationaler Wettbewerbsfähigkeit deutscher Textilcluster möglich.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2018): Ein Modell zur strukturierten Analyse von Veränderung als Plädoyer für eine integrierte Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsperspektive, in: Scripta Mercaturae 47 (2018), 161–190
    Peters, R.; Thomes, P.
  • (2018): Industrie 4.0 und Digitalisierung in der Textilbranche, in: VDI-Z integrierte Produktion, 160 (5), 67-69
    Cloppenburg, F.; Jordan, J.; Marshall, P., Peters, R. et. al.
  • (2018): Soziotechnische Assistenzsysteme für die Produktionsarbeit in der Textilbranche, Auswirkungen von Industrie 4.0 und die Arbeit in einer Weberei, in: Wischmann, S.; Hartmann, E.A. (Hg.): Zukunft der Arbeit – Eine praxisnahe Betrachtung. Berlin, S. 73-86
    Löhrer, M.; Lemme J.; Kerpen, D.; Saggiomo, M.; Gloy, Y.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-662-49266-6_6)
  • (2019): Future Expectations of the German Textile Industry: The Role of Tradition on the Threshold of the Fourth Industrial Revolution. WST Working Paper No. 3/2019 (Sept. 1, 2019)
    Peters, R.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.2139/ssrn.3450011)
 
 

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