Arretinische Sigillata und der Wandel von Bildlichkeit zwischen später Republik und früher Kaiserzeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Zentrum der Arbeit stand die Frage nach Bildlichkeit, also dem gezielten Einsatz von Bildern mit ganz unterschiedlicher narrativer Dichte. Bildlichkeit umfasst dabei das gesamte Spektrum vom semantisch einfach aufgeladenen Ornament bis hin zur komplexen Bilderzählung. Spätestens seit der geometrischen Zeit ist das Phänomen Bildlichkeit eine kulturelle Praxis, die alle Lebensbereiche durchdringt und ohne Unterbrechung die gesamte Antike hindurch fortbesteht. Gleichwohl ist der Einsatz von Bildern je nach Zeit, Region und Kontext großen Schwankungen unterworfen und es existieren Zeiten mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher bildlicher Darstellungen oder auch Epochen mit verschwindender Bildlichkeit. Diese Arbeit hatte es sich zum Ziel gesetzt, mit dem Übergang von der späten Republik zur frühen Kaiserzeit exemplarisch einen historischen Abschnitt genauer zu beleuchten, an dem sich besonders gut Fragen nach dem Aufkommen, der Konsolidierung und dem Verschwinden von Bildern stellen lassen. Bei näherer Betrachtung bestätigte sich, dass die späte Republik in vielen Bereichen eine fast bilderlose Zeit war, die in der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. von einem fast explosionsartigen Aufkommen von Bildern auf ganz unterschiedlichen Bildträgern abgelöst wurde. Besonders die mit der römischen Institution des convivium verbundenen Bereiche wurden dabei durch die neuen Bilder begleitet, aber auch die öffentlichen Räume wurden in neuer Weise mit Bildern aufgeladen. Mit Bildern geschmückte Objekte waren zuerst vor allem den römischen Oberschichten zugänglich, aber spätestens mit der augusteischen Zeit auch breiteren Gesellschaftsschichten. Das Aufkommen von Bildern fällt in einen ähnlichen Zeitraum wie die Etablierung eines ausgesprochenen Ausstattungsluxus, der besonders Villen und Häuser in neuer Weise ausstattete. Die Gründe für diesen beschleunigten Wandel waren vielschichtig. Vor allem die zunehmenden Kontakte mit dem Osten, das damit verbundene, immer tiefergehende Interesse der römischen Führungsschichten an griechischer Kultur, ein gewandeltes Konsumverhalten, das Wissen um andere Güter und eine andere Ästhetik waren der Motor hinter der Entwicklung. Anhand der Analyse des rotengobierten Tafelgeschirrs zwischen dem 1. Jh. v. Chr. und dem 1. Jh. n. Chr. in Italien konnten viele dieser Aspekte im Detail beleuchtet werden. Erstaunlich vergleichbare Gründe führten überhaupt erst dazu, dass man in unterschiedlichen italischen Produktionsstätten begann, zunehmend die traditionellen Schwarzfirniswaren durch Tafelgeschirr mit rotem Überzug zu ersetzen. Es etablierte sich damit eine neue farbliche Ästhetik, welche die ganze Kaiserzeit hindurch bestimmend blieb. Der wichtigste Herstellungsort war Arezzo, der ab ca. 30 v. Chr. eine hochqualitative und bilderreiche Keramik produzierte, die in den gesamten Mittelmeerraum ausstrahlte. Zentrale Ergebnisse der Untersuchung betreffen den Beginn der Produktion von reliefverzierter Terra Sigillata in Arezzo. Die reliefverzierte Terra Sigillata der frühaugusteischen Zeit zeichnet sich nicht nur durch den roten Überzug, die neuen Bilder und die hohe Qualität aus, sondern besonders durch ihre Nähe zur Toreutik, die sich auf ganz verschiedenen Ebenen feststellen lässt. Diese Nähe wurde bisher nie befriedigend erklärt. Sie lässt sich jedoch nun durch die Beteiligung erfahrener Toreuten erklären, die ebenfalls in Ton arbeiteten, um die Modelle für ihre Erzeugnisse zu erstellen. Treibende Kraft hinter dieser Produktion waren wohl Mitglieder der stadtrömischen Führungsschicht, die als gezielte Investition den Standort Arezzo förderten. Die Nähe zu Silbergeschirr zeigt sich u.a. auch im thematischen Spektrum der arretinischen Sigillata, das fast vollständig bereits in frühaugusteischer Zeit entworfen wurde. Bis in das 1. Jh. n. Chr. hinein kommen kaum mehr neue Bildthemen hinzu, zudem verschwindet mehr und mehr die Nähe zum Silbergeschirr. In der letzten Phase der arretinischen Werkstätten zeichnet sich ein Bedeutungswandel der Bilder ab, besonders mythologische Bildthemen wurden vereinfacht und auseinandergerissen. Die Bilder verloren zunehmend an narrativer Komplexität, oft boten nur mehr einzelne, emblematische Bildmotive assoziative Anreize zu ihrem Verständnis. Dies ist nun aber keine Besonderheit der Arretina, vielmehr lässt sich Ähnliches auch in ganz anderen Gattungen der römischen Kunst finden. Es scheint, als hätte der Bilderboom eine Bilderwelt erschaffen, die sehr schnell die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Nutzer nicht mehr befriedigen konnte. Die Folge war ein starker Wandel von Vereinfachung, Entschlackung, Umformung und Fokussierung, der jedoch Bild und Rezipient wieder näher zueinander brachte und den es gilt, in Zukunft näher zu erforschen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Töpfernde Toreuten!, in: Reinhardt, Arne (Hrsg.): Strictly Economic? Ancient Serial Production and its Premises: Panel 3.18, Heidelberg: Propylaeum, 2021 (Archaeology and Economy in the Ancient World – Proceedings of the 19th International Congress of Cla
M. Flecker
(Siehe online unter https://doi.org/10.11588/propylaeum.704.c10896) - (2022): Pottery, Glass, and the Pictorial Habit between Late Republic and Early Empire. In: Lea K. Cline, Nathan T. Elkins und Manuel Flecker (Hg.): The Oxford Handbook of Roman Imagery and Iconography: Oxford University. Seite 383-404
M. Flecker
(Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1093/oxfordhb/9780190850326.013.17)