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Kristallnukleation in kolloidalen Modellsystemen

Fachliche Zuordnung Statistische Physik, Nichtlineare Dynamik, Komplexe Systeme, Weiche und fluide Materie, Biologische Physik
Experimentelle Physik der kondensierten Materie
Förderung Förderung von 2017 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 328065274
 
Erstellungsjahr 2024

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Rahmen dieses Projektes haben wir die Kristallnukleation in kolloidalen Modellsystemen und die physikalischen Eigenschaften der metastabilen Schmelze erforscht. Um die Ursache für die ernorme Diskrepanz von 22 Größenordnungen zwischen Experiment und Simulation in den Nukleationsratendichten von Hart-Kugel-Systemen zu finden, haben wir den Kristallisationsvorgang im direkten Raum mit konfokaler Laser-Raster-Mikroskopie (LSCM) umfassend untersucht. In diesem Zusammenhang haben wir erstmalig ein für LSCM geeignetes kolloidales Hart-Kugel-Modellsystem vorgestellt und die Kristallisationskinetik über einen breiten Konzentrationsbereich in der Fluid-Kristall-Koexistenzregion vermessen. Darüber hinaus haben wir die interpartikuläre Wechselwirkung und den Einfluss der Gravitation variiert. Die experimentellen Daten haben wir sowohl I) direkt ohne jegliche theoretischen Annahmen als auch II) im Rahmen der klassischen Nukleationstheorie analysiert. Unsere Analyse zeigt eindeutig, dass die enorme Diskrepanz zwischen Experiment und Simulation nicht in experimentellen Artefakten, sondern in Unzulänglichkeiten der klassischen Nukleationstheorie begründet ist. Insbesondere sind die Annahmen 1) einer Boltzmann-Verteilung, 2) dass Nukleationsereignisse unabhängig voneinander sind, 3) dass der Kristallkeim mit den physikalischen Eigenschaften der stabilen kristallinen Phase beschrieben werden kann und 4) eine Nukleationsbarriere existiert, die auf den physikalischen Eigenschaften kristallinen Gleichgewichtsphase basiert, nicht haltbar. Letzteres ist dadurch begründet, dass die Kristallbildung über metastabile Zwischenphasen vermittelt wird. Analysiert man die Gesamtheit der Nukleationspfade kommt man zu dem Schluss, dass die Kristallisation mit einer metastabilen Zwischenphase startet und die kristalline Struktur durch eine Verdichtung und Strukturoptimierung erreicht wird. Dabei läuft die Verdichtung der Kristallformation leicht voraus. Es können jedoch auch einzelne Trajektorien beobachtet werden, die von diesem Bild abweichen und somit die große Variabilität des Kristallisationsprozesses widerspiegeln - „den“ Nukleationspfad gibt es nicht. Um zu einem tieferen Verständnis der dynamischen Eigenschaften der metastabilen Schmelze zu gelangen, haben wir ein neuartiges Lichtstreuexperiment konstruiert, welches einen direkten Zugriff auf die Häufigkeitsverteilung der Relaxationsprozesse erlaubt. Unsere Messungen zeigen eindeutig eine fundamentale Veränderung in der Partikeldynamik beim Überschreiten des Gefrierpunktes. Im thermodynamischen Gleichgewicht beobachten wir eine stationäre Dynamik, die durch Gaußischen Fluktuationen und räumlich homogene Relaxationsprozesse charakterisiert wird. Das System ist ergodisch. Das metastabile Fluid weist hingegen eine nicht-stationäre, räumlich inhomogene Dynamik auf - ist nicht ergodisch. Der Anteil Nicht-Gaußischer Fluktuationen steigt mit zunehmender Metastabilität kontinuierlich an und nimmt bei konstanter Metastabilität kontinuierlich mit der Zeit zu. Die beobachten Nicht-Gleichgewichts-Fluktuationen spiegeln die kollektive Partikeldynamik in Form von festkörperähnlichen Phononen wieder, die durch den Käfigeffekt verursacht wird. Die Bereiche, in denen die Partikel örtlich begrenzte kollektive Bewegungen ausführen, wachsen mit zunehmender Metastabilität und werden mechanisch steifer. Wir spekulieren, dass diese dynamischen Heterogenitäten die Ursache für die Kristallbildung sind.

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