Votivpraxis im hellenistischen und kuschanzeitlichen Baktrien
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt zur Votivpraxis im hellenistischen und kuschanzeitlichen Baktrien befasste sich mit den Kleinfunden aus verschiedenen Heiligtümern im südlichen Zentralasien. Die Funde werden hier erstmals übergreifend als Weihgaben und damit als materielle Zeugnisse der praktizierten Rituale betrachtet. Ausgangspunkt bilden die Votive aus dem Oxos-Tempel im heutigen Tadžikistan, der als einziger Kultbau der Region von der hellenistischen bis in die Kuschanzeit genutzt wurde. Das Material wird durch einen Katalog erschlossen, der auf einer Neuaufnahme der Funde in den Museen und Sammlungen Tadžikistans basiert und sämtliche innerhalb des Heiligtums zu Tage getretenen Funde (3033 Funde und Fundgruppen) verzeichnet. Für die Untersuchung in diachroner (Entwicklung des Votivspektrums) und synchroner Perspektive (Vergleich mit dem Votivspektrum anderer Heiligtümer) mussten die Weihgaben datiert werden, was nur bei wenigen Exemplaren anhand typologischer bzw. stilistischer Kriterien möglich war und deshalb auf stratigraphischer Grundlage erfolgte. Unter Einbeziehung der teils unpublizierten Grabungsdokumentation konnte die komplexe Stratigraphie des Fundortes mehr als 20 Jahre nach dem Ende der sowjetischen Grabungen geklärt werden, was zu den über das Projekt hinaus bedeutenden Resultaten der Studie gehört. Im Ergebnis ließen sich fünf „Deponierungsphasen“ bzw. Bauphasen beschreiben, in denen Weihgaben niedergelegt und überdeckt wurden. Die diachrone Untersuchung des Votivspektrums zeigt, dass Militaria am Oxos-Tempel über einen Zeitraum von etwa 400 Jahren den größten Anteil am in den Boden gelangten Inventar haben. Dies dürfte auf einen starken kriegerischen Aspekt des verehrten Flussgottes Oxos weisen. Während in der graeco-baktrischen Zeit noch viele Objekte geweiht wurden, die nicht dem militärischen Bereich angehörten, ist das Spektrum der Kuschanzeit reduziert und umfasst beinahe ausschließlich Waffen und Rüstungselemente. Der Blick auf die Deponierungspraxis erbringt mehrere überraschende Ergebnisse: An den Fundkontexten der zweiten, das Ende der graecobaktrischen Zeit markierenden Deponierungsphase lässt sich ablesen, dass es im Zuge der Einfälle von Saken und Yuezhi um 130 v. Chr. zwar offenbar zu Zerstörungen von Weihgaben kam, doch zu keinen umfassenden Plünderungen. Zahlreiche, auch aus leicht recycelbaren Materialien bestehende Objekte wurden in eigens angelegten Gruben oder oberirdischen Anlagen sorgfältig bestattet, wo sie meist bis zu den neuzeitlichen Grabungen verblieben. Die Kenntnisse über die Lage der Depots wurden jedoch offenbar vom Kultpersonal tradiert. Denn einige der graeco-baktrischen Votivgruben wurden in der Kuschanzeit gezielt „ausgegraben“ und das deponierte Material entnommen. Dabei waren sich die Verantwortlichen offenbar des Eingriffes in den Besitz der Gottheit bewusst und sie hinterließen Entschädigungsgaben. Insgesamt tritt durch die Berücksichtigung der kuschanzeitlichen Votivpraxis die „Spätzeit“ des Oxos-Heiligtums stärker in Erscheinung. Vergleiche mit der Votivpraxis aus anderen Heiligtümern des baktrisch-sogdischen Raumes runden die Studie ab. Bemerkenswert ist, dass aus den Heiligtümern der vorhellenistischen Zeit bzw. der 1. Hälfte des 1. Jts. v. Chr. bisher keine Weihgaben bekannt sind. Dieser Negativbefund hat jedoch vorläufigen Charakter und ist einstweilen nicht auszudeuten. Erst nach der Einbeziehung Baktriens in die hellenistische Welt lässt sich die Sitte nachweisen, die verehrten Götter mit Gaben zu beschenken; sie wird dann in allen Heiligtümern praktiziert. Die Fundspektren des sog. Nischentempels in Ai Khanoum (3./2. Jh. v. Chr.), des sog. Dioskurentempels in Dilberdžin (2. Jh. v. Chr.-2. Jh. n. Chr.) und der Tempelterrasse in Surkh Kotal (2. Jh. n. Chr.) unterscheiden sich teils erheblich von den zeitlich entsprechenden des Oxos-Tempels. Dies kann nicht allein mit der unterschiedlichen Einbindung und Bedeutung der Kultorte (städtisches bzw. überregionales Heiligtum) zusammenhängen, sondern muss auch auf unterschiedliche Charaktere der verehrten Gottheiten zurückgeführt werden. Insgesamt gewähren die Untersuchungen zur Weihgabensitte – einer archäologisch nachweisbaren rituellen Praxis – eine neue Perspektive auf die im hellenistischen und kuschanzeitlichen Baktrien praktizierten Kulte.
Publications
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G. Lindström
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G. Lindström
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Heiligtümer und Kulte im hellenistischen Baktrien und Babylonien – ein Vergleich. In: S. Hansen/A. Wieczorek/M. Tellenbach (Hrsg.), Alexander der Große und die Öffnung der Welt. Asiens Kulturen im Wandel (Regensburg 2009) 127–133
G. Lindström
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G. Lindström
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Kultgefäße im Oxos-Tempel – zur Frage der Kultkontinuität im unruhigen 2. Jh. v. Chr. In: G. Lindström u.a. (Hrsg.), Zwischen Ost und West. Neue Forschungen zum antiken Zentralasien. Archäologie in Iran und Turan 14 (Darmstadt 2013) 171–186
A. Drujinina/G. Lindström
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Votivdeponierungen im Oxos-Tempel (Baktrien) – Tradierung griechischer Kultpraxis? In. M. Witteyer/A. Schäfer, Rituelle Deponierungen in Heiligtümern der hellenistisch-römischen Welt. Mainzer Archäologische Schriften 10 (Mainz 2013) 97–114
G. Lindström
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Votivspektren von Heiligtümern. In: I. Gerlach/D. Raue (Hrsg.), Sanktuar und Ritual. Heilige Plätze im archäologischen Befund (Rahden 2013) 267–274
G. Lindström/O. Pilz