Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien für Kirchen und Religionsgemeinschaften
Final Report Abstract
Das Grundgesetzes gewährleistet den Religionsgemeinschaften das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Dazu zählt auch die Befugnis, Recht zu setzen und anzuwenden. Ob das eigenständige Recht von Religionsgemeinschaften rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechen muss, war bislang ungeklärt. Eine einfache Antwort kann es darauf nicht geben. Denn einerseits dient religiöse Freiheit gerade dazu, dass die Gläubigen ihrer jeweiligen Gemeinschaft eine ihren religiösen Überzeugungen entsprechende Ordnung geben können, die weltlichen Vorstellungen und Maßstäben gerade nicht zu gehorchen braucht. Andererseits existieren Religionsgemeinschaften nicht in einem abgeschotteten Eigenbereich. Ihrem Recht kommt in vielfältiger Weise Wirksamkeit im staatlichen Rechtskreis zu. In diesem Rahmen wird dann relevant, ob das religionsgemeinschaftliche Recht gewissen rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Dazu zählen Rechtsbindung, Kompetenz- und Verfahrensklarheit, Rechtssicherheit mit den Ausprägungen Kundgabe, Bestimmtheit und Normenklarheit, Rechtsfrieden sowie Rückwirkungsverbot, der Grundsatz des fairen Verfahrens, Willkürverbot, Begründungspflicht und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ferner muss rechtsstaatliches Recht in gewissem Umfang in Normen, also abstrakt-generellen Regelungen niedergelegt sein, die Funktionen von Rechtsetzung, Vollzug und gegebenenfalls Rechtsprechung müssen getrennten Organen zugewiesen sein, und dazu wiederum bedarf es einer Satzung, Ordnung oder Verfassung, worin die grundlegenden Organe, Verfahren und Zuständigkeiten geregelt sind. Diese Anforderungen gelten insbesondere auch dann, wenn Religionsgemeinschaften ausnahmsweise staatlich übertragene Hoheitsgewalt ausüben, vor allem bei der Erhebung von Kirchensteuern. Eine Lösung muss beiden Seiten gerecht werden, sowohl der religiösen Freiheit als auch den rechtsstaatlichen Bindungen. Das kann nur für jede Religionsgemeinschaft individuell geschehen, unter Berücksichtigung ihres jeweiligen religiösen Selbstverständnisses. Das evangelische Kirchenrecht ist offen für derartige rechtsstaatliche Anforderungen; mehr noch: Die Mehrzahl ist ihm als ungeschriebene Rechtsgrundsätze ohnehin immanent. Das Recht der Kirche muss ihrem Auftrag dienlich sein, und es muss dem Zeugnis des Evangeliums in Schrift und Bekenntnis entsprechen. Es ist aber nicht göttlichen Ursprungs, sondern von Menschen gemacht. Die äußere Ordnung der sichtbaren Kirche hat mit den gleichen Unzulänglichkeiten des Menschen zu rechnen, wie sie auch in der staatlichen Ordnung zur gewaltenteilenden Beschränkung der Staatsgewalt und ihrer Bindung an das Recht geführt haben. Und die Verborgenheit der geistlichen Wirklichkeit der Kirche hindert die objektive Erkenntnis dessen, was dem Auftrag der Kirche dienlich sei. Wenn und soweit rechtsstaatliche Grundsätze dazu geeignet sind, unter solchen Umständen den Geltungsanspruch des Rechtes zu begründen, kann die Kirche sie nicht verwerfen, ohne sich gegen die Bedingungen ihrer sozialen Existenz und die durch das Recht vermittelte gemeinschaftliche Verantwortung für ihr Handeln zu verfehlen. So wie staatliches Recht nicht Recht sein kann, ohne rechtsstaatlich zu sein, kann auch Kirchenrecht kein Recht sein, wenn es nicht gewisse Standards von Rechtlichkeit erfüllt, die auch das Kirchenrecht im Rechtsstaatsprinzip vorfindet.