Mannwerdung hinter Mauern. Internatserziehung und adoleszente Männlichkeit(en) in Deutschland und England, 1870-1930
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Ziel des Projekts war es, am Beispiel der Internatserziehung herauszuarbeiten, wie sich die Vorstellungen und Praktiken von ‚Männlichkeit‘, die die Sozialisation von bürgerlichen Jungen in Großbritannien und Deutschland prägten, in den Jahren zwischen 1870 und 1930 gewandelt haben. Internate als Einrichtungen, in denen die schulische und außerschulische Erziehung am selben Ort stattfindet, eignen sich in historischer Perspektive als Gegenstand für eine solche Untersuchung besonders, weil für sie das Zusammenspiel der verschiedenen Sozialisationsakteure wie der Lehrenden, Peergroup und Familie gut dokumentiert ist. Sie zeichnen sich jedoch als sozial elitäre Bildungseinrichtungen zugleich durch eine spezifische, meist homosoziale "Ordnung des Aufwachsens" aus. Britische und deutsche Internate glichen sich im 19. und 20. Jahrhundert in dieser sozialen Funktion, obwohl ihnen in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht eine unterschiedliche Bedeutung zukam. Die Studie untersuchte den Wandel von Männlichkeitsidealen und -praktiken anhand von ausgewählten Internatsschulen und mithilfe eines multiperspektivischen Zugriffs, der Sozialisationsräume, -ziele, -praktiken und -effekte analysierte. Indem die Studie deutsche und britische Internate als männliche "Bildungswelten" erforschte, leistete sie einen Beitrag zur Männlichkeits- und Geschlechtergeschichte sowie zu einer vergleichenden deutschen und britischen Gesellschaftsgeschichte. Im Ergebnis wurde gezeigt, dass es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer verstärkten Verkörperlichung von Männlichkeitsvorstellungen kam, in deren Folge der bürgerliche 'Mann' zusehends über den gesunden und abgehärteten, jungen, 'männlichen' Körper definiert wurde. Das neue Männlichkeitsideal kontrastierte mit einer bis dahin häufig offen zutage tretenden Gewaltaffinität der Internatserziehung, der in der Folge u.a. durch die Einführung von familienförmigen Erziehungspraktiken und der Koedukation begegnet wurde. Der Wandel vollzog sich in britischen und englischen Internaten in ähnlicher Form, wenn auch zeitversetzt und in unterschiedlicher Intensität. Die unterschiedliche Entwicklung war v.a. auf die divergierende soziale Bedeutung der Internatsschulen und verschiedene Bildungstraditionen zurückzuführen. Insgesamt ließ sich jedoch für beide Ländern zeigen, dass Internate im Übergang zum 20. Jahrhundert zu "Dienstleistungsinstrumenten" wurden, durch die bürgerliche Familien ihren Söhnen - und später auch ihren Töchtern - die soziale Statussicherung ermöglichen wollten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Retreat into the “pedagogical province”? Boarding schools and the changing perception of “nature” in German secondary education around 1900. Paedagogica Historica, 56(1-2), 85-100.
Gerster, Daniel
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Zwischen Volksmasse und christlicher Familie – Vergemeinschaftungsvorstellungen in der katholischen Internatserziehung im frühen 20. Jahrhundert. Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, 114(114).
Gerster, Daniel
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„Hinaus aus dieser Pestluft, diesem Höllenpfuhl!“ Großstadtleben und Internatserziehung im 19. und 20. Jahrhundert - eine Spurensuche am Beispiel Hamburg, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.), Zeitgeschichte in Hamburg 2020, Hamburg 2021, 96-116.
Daniel Gerster
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Charakterbildung: Ein bürgerliches Konzept sozialer Distinktion und seine ambivalente Geschichte. Ein deutsch-britischer Vergleich, in: Archiv für Sozialgeschichte 62 (2022), 99-118.
Daniel Gerster
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Global Perspectives on Boarding Schools in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Palgrave Studies in the History of Childhood, 1-33. Springer International Publishing.
Gerster, Daniel & Jensz, Felicity
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Global Perspectives on Boarding Schools in the Nineteenth and Twentieth Centuries. Palgrave Studies in the History of Childhood, 2022. Springer International Publishing.
Gerster, Daniel & Jensz, Felicity (Eds.)
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Korrespondenz - Ersatztagebuch - Entwicklungsbericht: Schülerbriefe als Quellen. Das Beispiel der Internatsschule Pforta im deutschen Kaiserreich, in: Daniel Gerster/Carola Groppe (Hg.), Schülerinnen- und Schülerleben im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Aufwachsen, Alltag und Freizeit von Schülerinnen und Schülern höherer Schulen im deutschen Sprachraum und ihre Erforschung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2023, 119-140.
Daniel Gerster
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Schülerinnen- und Schülerleben im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Aufwachsen, Alltag und Freizeit von Schülerinnen und Schülern höherer Schulen im deutschen Sprachraum und ihre Erforschung. History of Education, 1-3.
Ruoss, Thomas
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“Equipping a Child for Life’s Battles”? Sources and Methods in the History of Boarding Schools. History of Education, 53(1), 144-156.
Gerster, Daniel & Jensz, Felicity
