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Sklaverei und Loyalität: Das Russische und das Osmanische Reich

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2017 bis 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 355907952
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Beim nun überholten Forschungsstand musste davon ausgegangen werden, dass die Selbstreflektion des Moskauer Reichs über seinen faktischen Status als Vielvölkerreich erst in der Regierungszeit Peters I. begann. Das Projekt hat eine autochthone Sprache der Selbstverständigung über die imperialen Funktionen Moskaus und des Zaren, über Pflichten und Ansprüche der untergeordneten Gruppen und Ethnien zugänglich und nachvollziehbar gemacht. Als Schlüssel zu dieser Sprache und Kultur erwies sich die seit den 1550er Jahren am weitesten und breitesten in den Quellen vertretene Selbstbeschreibung des Moskauer Reiches als „Neues Israel“. Ausführliche Beschreibungen der Feldzüge, die 1552 zur Eroberung Kasans, der Hauptstadt des Tatarenkhanats an der mittleren Wolga führten, in der überkommenen Form der Chronik, jedoch mit neuen Autoren und Funktionen, explizieren in aller Breite und Deutlichkeit, dass die Analogie des „Neuen Israel“ darin gesehen wurde, dass Gott in alter Zeit die Israeliten durch sein Werkzeug Moses aus der ägyptischen Gefangenschaft geführt hatte und nun die orthodoxen Sklaven aus dem Moskauer Reich durch sein neues Werkzeug, Ivan IV., aus Kasan befreit habe. Dabei wird großer Wert auf die Rechtmäßigkeit der Inbesitznahme und Deportation der Tataren aus der Stadt gelegt. Zur Begründung wird auf einen Friedensvertrag von 1551 verwiesen, in dem sich die Tataren verpflichtet hätten, alle Sklaven freizulassen, wovon sie nach Abzug der Truppen Moskaus wieder abgewichen seien. Aufgrund der Quellenlage kann nicht festgestellt werden, ob es sich dabei um eine stark fiktionalisierte Version handelt, die Textintention ist jedoch eindeutig und weißt loyalen Tataren eine klare Rolle zu: Die der Befreier und Beschützer vor den Sklavenrazzien der gegenüber Ivan IV. illoyalen Tataren. Dabei konnte sich Moskau nicht nur auf eigenes Recht, sondern auch auf das der Steppe berufen, wie L. Munkh-Erdene für das Mongolische Reich gezeigt hat. Dass dieses Recht in den zerfallenden Nachfolgestaaten der Dynastie Dschingis Khans außer Gebrauch gefallen war, sagt hingegen nichts über seine Anwendbarkeit aus. Schließlich war eben dies der Hauptwert, für den Ivan ostentativ antrat: Sicherheit vor den Raubzügen zunehmend undisziplinierter Nomaden und vor Versklavung. Denn der Aufstieg der Reiche südlich der Steppe führte zu einer Nachfrage nach Arbeitskräften und loyalen Neumitgliedern dieser Gesellschaften, die sich verstärkend auf die problematischen Aspekte der Versklavungszone auswirkten, in der sich die Fürstentümer der Rus seit der Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts wiederfanden: Wechselseitige Überfälle zum Zwecke des Verkaufs von Menschen bedeuteten eine Mehrfachbelastung der Steuerzahler. Da parallel zum Aufstieg und der wachsenden Kohärenz des Moskauer Reichs der soziale Druck und die Abhängigkeit vieler Bauern von ihren Grundbesitzern wuchs, kann dem entstehenden Reich kaum der Begriff der NIchtverklavungszone (Fynn-Paul) gerecht werden. Für diesen und zahlreiche weitere Fälle bietet sich hingegen der Neologismus der Gegenabhängigkeitszone an, in der sich die Bauern lediglich dem einfachen Steuer- und Abgabendruck der hegemonialen Herren ausgesetzt sahen. Insofern kann die starke Hierarchisierung des neuen Reiches, oft als eine Art Pfadabhängigkeit Russlands betrachtet, auf eine historisch kontingente, transkontinentale und transosmanische Figuration zurückgeführt werden. Die Studie untersucht die Expressionen dieser Ideen in unterschiedlichen Quellen, die insgesamt zu den häufigsten Quellentypen des Moskauer Reichs gehören. Interview 18.8.2020 „Eine Stunde History“, Deutschlandfunk Nova: „Sklaverei im mittelalterlichen Europa“, https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/geschichte-der-sklaverei-1520-segelt-das-ersteschiff-von-afrika-nach-haiti

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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