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Die Begegnung mit dem Fremden. Fremd- und Selbstbilder bei Ferntouristen im Kontakt mit einer fremden Kultur und die Möglichkeit interkultureller Bildungsprozesse

Fachliche Zuordnung Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Förderung Förderung von 2006 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 36657907
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Reisen, die mit Fremdem konfrontieren, können Bildungsprozesse auslösen: Sie tun dies nach gängiger Auffassung vor allem dann, wenn sie das eigene Selbst- und Vorverständnis an seine Grenzen führen und darüber eine Selbstveränderung auslösen. Die Fremdheit irritiert, weil sie unzugänglich ist und doch muss man sich zu ihr verhalten. Die Analyse der Erfahrungsdiskurse von touristischen Besuchern im buddhistisch geprägten oberen Ladakh zeigt nun, dass das Fremde auch als ‚nur’ anders betrachtet werden kann. Als ‚Andere’ erscheinen die Ladakhi zugänglich: Ihre Andersheit kann von den Besuchern im Vergleich mit der eigenen Lebensweise und Kultur bestimmt werden. Eine das eigene Selbstverständnis verändernde Fremderfahrung erscheint in solchen Artikulationsfiguren unwahrscheinlich. Die Vermutung liegt nahe, dass die Besucher nur ihre Bilder oder ein angelesenes Wissen auf die Einheimischen projizieren werden, dass also deren (möglicherweise irritierende) Wirklichkeit keine Rolle spielt. Und doch zeigt sich in den Erfahrungsartikulationen der Besucher ein Vorbehalt gegenüber den eigenen Bildern und Bestimmungen. Auf der einen Seite hält man an der Bedeutsamkeit der in ihrer Andersheit bestimmten Ladakhi für das eigene Erleben fest. Auf der anderen Seite aber wird diese bedeutsame Rolle der Ladakhi für die vor Ort möglichen Erfahrungen als eigenes Bild, als bloße Identitätszuschreibung betont. Die Andersheit der Anderen ist also einerseits wichtig für die Möglichkeit eigener Erfahrungen und andererseits selbst nur eine eigene Zuschreibung, eine bloße Konstruktion. Man kann also die Bedeutsamkeit der Anderen für die eigene Erfahrung betonen und diese zugleich dadurch relativieren, dass man sie als ein selbst gefertigtes Bild aufruft. Das erlaubt ein ästhetisches Spiel mit der Bedeutsamkeit der eigenen Erfahrungen, das diese dramatisieren, aber auch in ihrer Bedeutung herunterspielen kann. Ein ähnliches (reflexives) Spiel zeigt sich auch in der Frage, was die eigene Präsenz vor Ort für die Einheimischen bedeutet. Dass für diese die eigene Identität zwischen Tradition und Veränderung zu einem Problem geworden ist, wird einerseits dem Tourismus und damit auch der eigenen Präsenz zugerechnet. Andererseits kann man sich dazu noch einmal entproblematisierend verhalten: etwa durch den Verweis auf die Ambivalenz, die in der Eröffnung von Möglichkeiten für die Einheimischen liegt, oder auf deren Eigenverantwortung. Die Erfahrungsdiskurse der Ladakhi konzentrieren sich auf die durch den Tourismus ausgelösten Veränderungen: die Entwicklung der Infrastruktur, eines Bildungswesens und neuen Verdienstmöglichkeiten, die zugleich eine materialistische Orientierung, eine Landflucht und ein Konkurrenzverhalten etabliert haben. Da die touristisch induzierten Möglichkeiten grundsätzlich begrüßt werden, wird der Rückgriff auf ‚die’ Tradition problematisch. Umgekehrt ergibt sich das Problem, inwieweit man unter den veränderten Bedingungen noch die eigene Identität als Ladakhi erhalten kann. Auch zu dieser Problematik muss man sich verhalten, ohne dazu noch auf einen gemeinsam geteilten Grund zurückgreifen zu können. Ob die anderen Ladakhi bestimmte Aspekte der Tradition auch für wichtig halten oder Entwicklungen nicht so kritisch einschätzen, kann man nicht wissen. Es eröffnet sich ein unsicheres und kontroverses Feld der Auseinandersetzungen um die eigene Identität. Es handelt sich dabei nicht – wie bei den Besuchern – um ein ästhetisch-individuelles Spiel, sondern der Streit dreht sich um die eigene kollektive Identität. Dabei ist – bei aller Entproblematisierung der touristischen Besucher – es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die eigenen Veränderungen nicht einfach in der Übernahme westlicher Auffassungen und Umgangsformen bestehen. Dagegen muss die Verschiedenheit, müssen die Grenzen wechselseitiger Zugänglichkeit betont. Die Betonung der Differenz zu den Besuchern macht das Problem der Ladakhi-Identität zu einem eigenen – ohne dass dafür eine Lösung in Sicht wäre.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Erkundungen von Fremdheit und Andersheit. Bildende Erfahrungen von Individualreisenden in Mali und Ladakh. In DIE. Zeitschrift für Erwachsenenbildung 20 (2013), S. 29-32
    Alfred Schäfer
  • Umstrittene Kategorien und problematisierende Empirie. In: Zeitschrift für Pädagogik 59 (2013), S. 536-550
    Alfred Schäfer
 
 

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