Knowledge on Trust? The Epistemology of Scientific Expert Testimony
Practical Philosophy
Final Report Abstract
Epistemisches Vertrauen, d.h. Vertrauen in andere Personen in Bezug auf epistemische Güter wie Wissen oder Rechtfertigung spielt auch in wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen eine Rolle. Die Vermittlung von Expertenwissen innerhalb und außerhalb der Scientific Community ist ohne epistemisches Vertrauen nicht denkbar. Vor diesem Hintergrund zielte das Forschungsprojekt auf eine fundierte erkenntnistheoretische und wissenschaftsphilosophische Durchdringung epistemischen Vertrauens als rationaler Erkenntnisquelle. Dabei fokussiert e das Projekt auf relevante und informationshaltige Aussagen anderer, epistemisch besser positionierter Personen (u.a. Experten) als Gegenstand epistemischen Vertrauens. Auf solchen Aussagen basierendes Wissen ist aus erkenntnistheoretischer Sicht im Hinblick auf die Rechtfertigungsbedingung für Wissen problematisch. Für Wissen bedarf es relevanter, die eigenen Überzeugungen stützender Evidenzen. Was es vor diesem Hintergrund bedeuten kann in epistemischer Hinsicht zu vertrauen und inwiefern die Haltung des Vertrauens selbst solche Evidenzen ersetzen kann, war daher die zentrale Frage des Projektes. Der erste Projektteil kartierte und systematisierte Konzeptionen epistemischen Vertrauens in der erkenntnistheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Literatur und deren Rolle im Zusammenhang des Problems der epistemischen Rechtfertigung testimonialen Wissens. Daraus ergab sich eine relativ einheitliche Grundstruktur des Begriffes, die sich von Vertrauenskonzeptionen der Praktischen Philosophie im Wesentlichen durch den Fokus auf epistemische Güter unterschied. Innerhalb dieser Grundstruktur findet sich eine Bandbreite von Konzeptionen, die hinsichtlich der Art des Vertrauensnehmers, der Art der epistemischen Güter, der Rationalitätsbedingungen von Vertrauen und des intersubjektiven Charakters der Einstellung unterschieden werden können. Dabei konnte gezeigt werden, dass in den adressierten wissenschaftsphilosophischen Diskussionen epistemisches Vertrauen fast ausschließlich drittpersonale kognitive Einstellung konzipiert wird und warum dies unter theoretischen Gesichtspunkten nahliegend ist. Es konnte zudem gezeigt werden, dass epistemischem Vertrauen nur in Ausnahmefällen eine Rolle für die epistemische Rechtfertigung zugeschrieben wird, z.B. in Erkenntnistheorien, die Zeugnisse als persönliche Zusicherungen oder als autoritative Aussagen interpretieren und in wissenschaftsphilosophischen Erörterungen kollektiver Wissensproduktion. Für den Kontext der Experten-Laien-Kommunikation spielten diese Ansätze aufgrund ihrer Interpretation von Vertrauen als zweitpersonaler Einstellung bisher fast keine Rolle. Ausgehend von diesen Einsichten konnten dann Probleme aktueller Debatten untersucht werden: Die Rolle von epistemischen Selbstvertrauens als Ermöglichungsbedingung von epistemischem Vertrauen in Andere und das Verhältnis von intaktem epistemischem Vertrauen in Forschungsgruppen und der Zuverlässigkeit der von diesen Gruppen erzielten Forschungsergebnisse. Im zweiten Teil wurde versucht eine Konzeption epistemischen Vertrauens zu entwickeln, die sowohl im Kontext der Experten-Laie-Kommunikation anwendbar ist als auch epistemisches Vertrauen als zweitpersonale Einstellung konzipiert, der eine Rolle im Kontext epistemischer Rechtfertigung zukommt. Diese Anforderungen gleichzeitig zu erfüllen erwies sich als schwierig, so dass ein für den genannten Kontext passendes Modell testimonialen Wissens beschreiben wurde, dass zwar nicht den zweitpersonalen Charakter epistemischen Vertrauens integriert, aber immerhin die Rechtfertigung von testimonialen Wissens als gemeinsame Kommunikationshandlung von Laie und Experte entwirft. Die Rechtfertigung wird durch zwei Komponenten erreicht: 1) die Zurückweisung aller relevanten Zweifel des Laien durch den Experten; 2) die Behauptbarkeit dieser Zurückweisung in einer möglichst umfassenden epistemischen Gemeinschaft. Über den Kontext der Experte-Laie-Kommunikation hinaus wurde das Modell für weitere Anwendungskontexte optimiert (Epistemisch Opake KI-Anwendungen) und hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit insbesondere gegenüber reliabilistischen Ansätzen verteidigt.
Publications
- (2020) ‘Knowledge from scientific expert testimony without epistemic trust’, Synthese, vol. 197, no. 8, pp. 3611–3641
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