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Respektabler Alltag. Eine Ethnographie von Erwerbslosigkeit
Antragstellerin
Dr. Anna Eckert
Fachliche Zuordnung
Ethnologie und Europäische Ethnologie
Förderung
Förderung von 2017 bis 2018
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 398883783
Die Dissertation „Respektable Routinen" stellt erstmalig in solcher Dichte Praktiken und Praxislogiken dauerhafter Erwerbslosigkeit dar. Ziel ist zu verstehen, über welche individuellen Handlungsfähigkeiten sogenannte Langzeitarbeitslose in ihrem räumlichen, historischen und kulturellen Kontext verfügen.Zwischen hegemonialen Definitionen von Erwerbslosigkeit und staatlichen Zugriffen einerseits sowie der Agency der enwerbslosen Akteurlnnen andererseits besteht ein systematisches Spannungsverhältnis. Die individuelle und die sozialstaatliche Ebene von Erwerbslosigkeit verschränken sich in konkreten Situationen, untersucht in der brandenburgischen Industriestadt Wittenberge. Ergebnisse zu öffentlich beobachtbaren, kollektiven und konfligierenden Praktiken liefert meine Studie anhand von zwei Orten. Im Mittelpunkt steht erstens eine Beschäftigungsmaßnahme für Erwerbslose bei einer Lebensmitteltafel und zweitens eine Weiterbildungsmaßnahme für suchterkrankte Erwerbslose. Fünf Fallbeispiele, dargestellt in Porträts einzelner Personen, holen den Gegenstand noch näher heran und arbeiten die Varianz von Praktiken enwerbsloser Transferbezieherinnen heraus. Die Porträts geben Auskunft über die Sichtweisen der Gesprächspartnerinnen, ihre individuellen, habitualisierten und repräsentativen Praktiken, Konflikte und Momente der Unabhängigkeit. Sie zeigen anhand unterschiedlicher thematischer Schwerpunkte, was die Einzelnen „können", um ihren Alltag in der Enwerbslosigkeit zu führen.Die qualitative Studie zeigt, auf welche Weise die Situation dauerhaft erwerbsloser Transferbezieherinnen durch materielle Ressourcenknappheit gekennzeichnet ist. Erwerbslosigkeit wird in erster Linie subjektiviert wahrgenommen und impliziert keinen positiven sozialen Wert. Das Arbeitslosengeld II sichert die materielle Existenz, aber die meisten Interviewpartnerinnen fühlen sich an einer gesellschaftlichen Ordnung gescheitert. Defizite sind vielfach verinnerlicht. Kaum jemand erlebt die eigene Enwerbslosigkeit als eine temporäre Lage, sondern eher als einen Schwellenzustand der Verwerfungen.Zwar verdeutlicht die Analyse, wie sich die Gesprächspartnerinnen hegemonialen Subjektivierungen als Erwerbslose widersetzen. Es ist jedoch schwierig, ein alternatives Selbstbild zu etablieren. Alle erzeugten Selbstbilder bleiben deshalb fragil. Die Gesprächspartnerinnen können, abhängig vom Arbeitsethos, die erinnerte Enwerbsarbeit nicht ersetzen, weder materiell noch symbolisch. Indem das Phänomens der Erwerbslosigkeit empirisch dicht und präzise aus verschiedenen Perspektiven beschrieben und analysiert wird, trägt die Studie zum Verstehen des kulturellen Systems der postindustriellen Gesellschaft bei, seiner Legitimierungsstrategien, seiner symbolischen Artikulation und inneren Widersprüche.
DFG-Verfahren
Publikationsbeihilfen
