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Autobiographie/Autofiktionalität, Zeitkonstitution und Geschichtsbewusstsein bei Augustinus: Die Einheit der 'Confessiones' vor dem Hintergrund der Ostia-Perspektive.

Fachliche Zuordnung Griechische und Lateinische Philologie
Evangelische Theologie
Geschichte der Philosophie
Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2018 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 407958509
 
Erstellungsjahr 2024

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Augustins Confessiones werden in diesem Buchprojekt erstmalig als ein Text mit einem grundlegend neuen, alternativen Deutungspotential für auch heute virulente Fragen interpretiert. In den Conf. wird nicht nur eine oft verkannte Zeittheorie entfaltet, die weder 'objektivistisch' ausschließlich an die phänomenale Welt gekoppelt ist noch 'Zeit' zu einem rein subjektivistischen Konstrukt macht oder als immer schon gegebene 'Kategorie' im Sinne Kants versteht. Vielmehr wird Zeit gemäß dem Kirchenvater durch eine (äußere wie innere) Veränderungsprozesse in ihrer Einheit erfassende Erkenntnisinstanz (Seele, Geist) aktual konstituiert: Zeit ist nicht ohne geistige Aktivität, aber sie ist keineswegs ein 'Hirngespinst' oder eine 'subjektive Überformung der Welt'. Augustins Zeittheorie bietet zugleich einen Lösungsansatz für einige moderne Aporien, wie z.B. die vermeintliche Unvereinbarkeit von 'innerer Zeiterfahrung' und 'äußerer Zeit'. Das Kritikpotential dieser Zeittheorie und ihre Anschlussfähigkeit an moderne philosophische und physikalische Theorien (z.B. Relativitätstheorie) gilt es neu zu würdigen. Zeiterfahrung setzt Erinnerung und Erwartung voraus und ist die Basis für Augustins Lebensreflexion: In literaturwissenschaftlicher Hinsicht präsentieren sich die Conf. als ein Text, der weder eine historische Autobiographie noch eine (auto-)fiktionale Selbstdarstellung sein will. Geläufige Unterscheidungen wie die zwischen Autor und Erzähler oder die zwischen Erzähler und Figur lassen sich bei genauer Textanalyse nicht eins zu eins auf dieses Werk anwenden. Vielmehr befindet sich Augustinus in einer aktualen Sprechsituation, indem er Gott seine Erinnerungen und den Prozess seiner Selbsterkenntnis bekennt, so dass er nicht einfach als 'Autor' oder 'Erzähler' zu betrachten ist, sondern als aktual Bekennender, der in sich selbst die Differenzen zwischen den verschiedenen Instanzen seines zeitlich bedingten Selbst erkennt und so ein Panorama seines Lebens im Sinne der in seiner Seele gesammeltverdichteten Zeit vor Gott entwirft – und in sekundärer Weise auch vor seiner Leserschaft. So entfaltet er in den Conf. sein eigenes, individuelles Geschichtsbewusstsein. Der 'Wahrheitswert' der Bekenntnisse bemisst sich daher nicht daran, wo Autofiktionalität aufhört und Autobiographie beginnt, sondern an dem Maß der Selbsterkenntnis, welches für die reflektierende Seele im Lichte einer sie immer schon transzendierenden absoluten Wahrheit Gottes möglich ist. Die Reflexionen in und mit den eigenen Erinnerungen, über die Seele in ihrer zeitlichen Konditionierung und in ihrer Bezogenheit auf die Überzeitlichkeit Gottes erweisen die Conf. als ein primär psychologisches Werk, für das die Zeittheorie die theoretische und hermeneutische Basis darstellt und seine innere Einheit begründet. Da für Augustinus Selbsterkenntnis abhängig ist von Gotteserkenntnis, mündet das Werk in den letzten Büchern stimmigerweise in die Meditation über die Heilige Schrift der Christen.

 
 

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