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Auflösung des J/ψ-Rätsels – NRQCD-Faktorisierung in übernächstführender Ordnung
Antragsteller
Professor Dr. Bernd A. Kniehl
Fachliche Zuordnung
Kern- und Elementarteilchenphysik, Quantenmechanik, Relativitätstheorie, Felder
Förderung
Förderung von 2018 bis 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 409060694
Das Standardmodell (SM) der elektroschwachen und starken Wechselwirkung, das kürzlich durch die Entdeckung des Higgsbosons am LHC beeindruckend bestätigt wurde, hat nichtsdestotrotz ernsthafte Probleme bei der quantitativen Beschreibung experimenteller Daten. Derzeit treten die deutlichsten Abweichungen bei der Erzeugung schwerer Quarkonia auf, das sind von Gluonen zusammengehaltene schwere Quark-Antiquark-Paare QQ̅. Die weltweit, auch am LHC, in hochenergetischen Teilchenstößen gemessenen Erzeugungsraten und Polarisationsgrade schwerer Quarkonia entziehen sich nämlich einer kohärenten Interpretation durch die derzeit zuverlässigsten Vorhersagen der Quantenchromodynamik (QCD), der Theorie der starken Wechselwirkung im SM. Im Falle des ansonsten wohlvertrauten J/ψ-Mesons, welches bereits 1974 entdeckt wurde, wurden Abweichungen von mehr als 20 Standardabweichungen gefunden! Derartige Abweichungen zwischen Theorie und Experiment sind völlig inakzeptabel. Wir schlagen vor, dieses seit langem bestehende, grundsätzliche Problem zu bewältigen, indem wir den von Bodwin, Braaten und Lepage eingeführten Faktorisierungszugang der nichtrelativistischen QCD (NRQCD), der aus der QCD zur Beschreibung der Dynamik von QQ̅-Bindungszuständen abgeleiteten effektiven Feldtheorie, auf die nächsthöhere Stufe der Genauigkeit anheben. Dies bedeutet, dass Quanten- und relativistische Korrekturen der übernächstführenden Ordnung mitgenommen werden, und zwar der relativen Ordnungen αs2, αsv2, v4 in der starken Kopplungskonstante αs und der Geschwindigkeit v von Q im QQ̅-Schwerpunktssystem. Die Quantenkorrekturen beinhalten Feynmandiagramme bei zwei Scheifen mit zwei einlaufenden und drei auslaufenden Teilchen, 2 → 4-Diagramme bei einer Schleife sowie 2 → 5-Baumdiagramme. Es treten mindestens vier verschiedene Massenskalen auf. Während Zweischleifenrechnungen den aktuellen Stand der Wissenschaft in anderen Bereichen der Teilchenphänomenologie darstellen, bildet die Erzeugung schwerer Quarkonia hier eine Ausnahme. Dies liegt an den Spin- und Farbprojektoren auf die verschiedenen QQ̅-Fockzustände, welche die analytischen Ausdrücke erheblich aufblähen. Besonders erschwerend hinzu kommt das Auftreten von Ableitungen über die Spinprojektoren mit Bahndrehimpuls L ≥ 1 und die relativistischen Korrekturen. Diese erzeugen neuartige Klassen von infraroten Singularitäten, die außerhalb der NRQCD unbekannt sind und erweiterte Muster der Weghebung zwischen virtuellen und reellen Korrekturen erfordern. Die vorgeschlagene Forschung wird das J/ψ-Rätsel voraussichtlich lösen, zumal die derzeit verfügbaren Vorhersagen an übergroßen Korrekturen der nächstführenden Ordnung leiden, die ihre Zuverlässigkeit ernsthaft in Frage stellen. Die geplanten Rechnungen werden auch die zugrunde liegende Faktorisierungshypothese, welche die unvermeidlichen nichtstörungstheoretischen Phänomene der QCD abgrenzt, testen und vielleicht eine Änderung in unserem Verständnis der Natur erforderlich machen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen