Detailseite
Lazarus - Literarische Latenzen in romanischen Literaturen des 20. Jahrhunderts
Antragstellerin
Professorin Dr. Ursula Hennigfeld
Fachliche Zuordnung
Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung
Förderung von 2018 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 417476153
Im beantragten Projekt sollen literarische und literaturtheoretische Texte in Frankreich, Spanien und Italien erforscht werden, die sich im 20. Jahrhundert mit der biblisch-mythischen Figur des aus dem Totenreich zurückgekehrten Lazarus (Joh. 11) auseinandersetzen. Das beantragte Projekt geht der zentralen Frage nach, wie die hohe Rekurrenz von Lazarus-Metaphern in Nachkriegsliteraturen interpretiert werden kann. Die Ausgangshypothese lautet, dass es sich bei den Lazarus-Figuren im Sinne Gumbrechts und Haverkamps um Latenz-Indikatoren handelt, die in Schwellenphasen nach Kriegs- und Krisenereignissen traumatische Erfahrungen zum Ausdruck bringen, die sich der einfachen Versprachlichung entziehen und nur im Medium der Literatur sagbar sind. Lazarus wird in diesen Texten als Metapher für Kriegsheimkehrer, KZ-Überlebende, Gefolterte und andere Wiedergänger des kollektiven Gedächtnisses verwendet. Um das spezifische Potential von Literatur angesichts humanitärer Katastrophen genauer zu erforschen und einen innovativen und originellen Forschungsbeitrag an der Schnittstelle von historischer Epistemologie, philologischer Textanalyse und kulturwissenschaftlich orientierter Diskursanalyse zu erbringen, soll zunächst der Latenz-Begriff geschärft und mit Jean Cayrols Konzept einer 'lazarenischen Literatur' verbunden werden. Diese Verbindung von verschiedenen Latenz-Begriffen sowie von deutscher und französischer Theoriediskussion stellt die Grundlage des Projekts dar, auf der erforscht werden soll, ob die Lazarus-Figuren eine transhistorische, transkulturelle und transnationale Konstante darstellen. Dazu werden literarische Texte von der Jahrhundertwende über die Zwischenkriegszeit bis ca. 1970 in Frankreich, Spanien und Italien in allen drei Gattungen sowie in der literaturtheoretischen Texten untersucht.Eine systematische Analyse dieses überaus reichhaltigen Textkorpus im jeweils spezifischen historischen Kontext ist noch zu leisten. Das geplante Projekt geht dabei von der These aus, dass die literarischen Texte mit ästhetischen Mitteln Latenzen sichtbar machen und speichern, die im historischen Prozess lange verdrängt oder unbewältigt geblieben sind. So werden konkrete historische Umbrüche, gesellschaftliche Spannungen und Traumata beschreibbar. Wie das erlebte Grauen überhaupt kommunizierbar ist, wie durch den Krieg Traumatisierte wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können und wie sie mit den Schuldgefühlen angesichts von Millionen Toten weiterleben können, sind zentrale Fragen, die im Medium Literatur verhandelt werden. Dabei entwerfen die Lazarus-Texte – anders als offizielle geschichtspolitische Narrative wie de Gaulles Mythos der 'France résistante' – keine Helden- oder Siegergeschichte, sondern nehmen die Perspektive der Verlierer ein, die für immer an Leib und Seele gezeichnet sind.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen