Literary doubt. Scepticism and the dilemma of establishing the truth in Middle High German epics (12th to 14th centuries)
Final Report Abstract
Das Projekt zielte auf die kultur- und literarhistorischen Zusammenhänge eines skeptischen Denkens und eines ‚methodischen‘ Zweifel(n)s in der weltlich-höfischen Epik des 12. bis 14. Jahrhunderts. Obgleich der ‚Skeptizismus‘ für die Jahrhunderte zwischen Antike und Früher Neuzeit eine begriffsgeschichtlich unsichere Kategorie ist, erschloss sich über einen ideengeschichtlichen Ansatz ein weites Forschungsgebiet. Es ließen sich Wirkungsfelder eines genuin literarischen Interesses an den narrativen, semantischen und poetologischen Dimensionen eines skeptischen Denkens zeigen, die infolge zu manifester Epochenvorstellungen bislang kaum in einem Sinnzusammenhang gesehen wurden (Stichwort ‚Höfischer Skeptizismus‘). Ein großer Gewinn lag darin, für einzelne Motive und Topoi (skeptisches Traumargument; Melancholie), Wortfelder und Metaphern (Lexem wâge; nautische und metrologische Bildbereiche) oder zweifelaffine Figuren (Keie u.a.) neue Interpretations- und Verständnismöglichkeiten jenseits des Glaubenszweifels zu erschließen. Anhand exemplarischer Analysen zentraler Minne-, Artus- und Abenteuerromane zweier Jahrhunderte wurden dabei zum einen die literarischen Spielarten eines Wahrnehmungszweifels, potentieller Täuschungen und irritierender Wahrnehmungsvorgänge in der spätmittelalterlichen Epik erfasst (Heinrich von dem Türlin; Konrad von Würzburg). Andererseits konnte die Semantik einer positiven, erkenntniskritischen Kompetenz eines Abwägens von Alternativen oder eines kritischen Hinterfragens zu einseitiger Autoritäten verdeutlich werden – dies als Resultat der Orientierung an der etymologischen Grundbedeutung von mhd. zwîvel als Zwiefältiges oder auch Geteiltes (ambiguitas). Ein Schwerpunkt der Projektarbeit verlagerte sich daher von der Wahrheits- auf die Urteilsfindung in der höfischen Ethik (Gottfried von Straßburg, Tristan; Artusromane; Reinfried von Braunschweig u.a.). Sowohl auf Figuren- als auch auf Rezeptionsebene ließ sich der Zweifel zwischen gleichwertigen, aber gegensätzlichen Argumenten, Meinungen oder Deutungsperspektiven als eine Position der Mitte, als eine Methode des Unterscheidens und somit als eine zentrale kognitive, emotionale und ethische Fähigkeit im Umgang mit aporetischen Positionen und/oder Mehrdeutigkeit verstehen (Angemessenheit, Klugheitsdiskurs). In den ‚Zwischenräumen des Zweifels‘ ließen sich Erwägungen als Denkund Sprachfiguren in retardierenden Erzählverfahren, poetologischen Sinnbildern oder auch in deliberativen Momenten höfischer Zwiegespräche verfolgen, in denen sich der Zweifel mittels Metaphern und rhetorischer Stilmittel eigene Argumentationsräume schafft. Hier schloss sich ein neuer Forschungsansatz zur Kompromissfindung unmittelbar an. Nachhaltiges Ziel ist es daher, über eine ideen- und wissensgeschichtliche Forschung den Stellenwert der höfischen Epik und Ethik weiterhin für die Erschließung von kulturhistorisch relevanten Fragestellungen zu akzentuieren.
Publications
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Tagungsbericht: Zwischen Zweifel, Dissens und Aporie. Strategien und Narrative der Kompromissfindung in der mittelalterlichen Literatur und Kultur, 28.09.2021-30.09.2021 Irsee, in: H-Soz-Kult, 08.12.2021.
J. Roch; S. Riedl & B. Straußberger
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Zur Ideengeschichte eines ›höfischen Skeptizismus‹. Nach der Kulturgeschichte, 125-158. De Gruyter.
Witthöft, Christiane
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Zweifel, Skeptizismus und das Dilemma der Wahrheitsfindung in der höfischen Epik des Mittelalters. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 62(1), 33-66.
Witthöft, Christiane
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Auf der Suche nach Gewissheit: Ordale, Orakel und Tugendproben im Magie- und Wahrheitsdiskurs heldenepischen und höfischen Erzählens („Nibelungenlied“, „Diu Crône“). Philologische Studien und Quellen, 77-108. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG.
Witthöft, Christiane
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Wahrnehmung, Täuschung, Zweifel. Eine skeptizistische Perspektive auf den ‚Partonopier‘ Konrads von Würzburg und die ‚Crône‘ Heinrichs von dem Türlin (= Dissertationsschrift 2023).
J. Roch
