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Rechtsmissbrauch als Paradoxie: Negative Selbstreferenz und widersprüchliches Verhalten im Recht.

Fachliche Zuordnung Privatrecht
Förderung Förderung von 2019 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 420392977
 
Juristen müssen, um Fälle zu entscheiden, davon ausgehen, dass jemand entweder im Recht ist oder im Unrecht. Recht als Unrecht zu denken, ist dagegen ein Problem. Die Realität zeigt, dass es viele Fälle gibt, in denen sich jemand auf das Rechtssystem berufen kann, aber trotzdem im Unrecht ist. Die Arbeit fragt aus systemtheoretischer Perspektive, wie es zu der Paradoxie im System kommt und was Juristen dann tun. Dazu werden Fälle aus verschiedenen Gebieten analysiert, insbesondere dem Zivilrecht, dem Europarecht und dem Wettbewerbsrecht. Die Notwendigkeit eines rechtsinternen Korrektivs, um rechtmäßige Lösungen für rechtswidrig zu erklären, beruht auf Antinomien im Rechtssystem. Abstrakte Regeln zum Beispiel blenden immer etwas aus und gehen damit zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit; der europäische Binnenmarkt beschreibt sich als "Raum ohne Binnengrenzen", der aber Binnengrenzen hat; Wettbewerb droht sich durch Marktmacht selbst zu sabotieren. Zur Auflösung der Paradoxie rechtswidriger (= missbräuchlicher) Rechtsausübung werden rechtsintern Unterscheidungen gebildet, zum Beispiel zwischen Recht und Gesetz, Textsinn und Normzweck oder Können und Dürfen. Solche Techniken verschieben aber zunächst nur das Problem.Empirisch lässt sich nachweisen, dass die Paradoxie rechtswidriger Rechtsausübung mit selbstwidersprüchlichem Verhalten zusammenhängt. Zum Beispiel tritt jemand eine Vertragsbeziehung mit Füßen und beruft sich sodann auf vertragliche Rechte; oder jemand bricht das Recht, um an Rechtsvorteile zu kommen, bringt z.B. jemanden um, um zu erben; oder jemand nutzt Grenzen im grenzfreien Binnenmarkt durch grenzüberschreitendes Hin und Her aus; oder ein Unternehmen setzt Marktmacht ein, die es im Wettbewerb erlangt hat, um Wettbewerber auszuschalten, etwa durch Preise, die die eigenen Kosten nicht decken. Der Zusammenhang zwischen der Paradoxie rechtswidriger Rechtsausübung und paradoxem Verhalten wurzelt in der "Privatautonomie", dem zentralen Element einer freiheitlich konzipierten Gesellschaftsordnung. Autonomie heißt nämlich, dass sich jemand selbst Regeln gibt, also Gesetzgeber und Normadressat – als Gegensatz! – dieselbe Person sind. Eben diese Paradoxie spielt eine Rolle, wenn jemand seine eigene Handlungsprämissen in ein und demselben Verhalten untergräbt. Juristen sprechen von „institutionellen“ Bedingungen, die nicht missbraucht werden dürften. Der Gedanke hat, wie die Arbeit zeigt, durchaus ideengeschichtliche Tradition, unter anderem in der Philosophie der Aufklärung. So hat Kant seinen kategorischen Imperativ dahingehend formuliert, dass man nicht Möglichkeitsbedingungen nutzen und zugleich untergraben dürfe; Prototyp hierfür ist die Täuschung, die Vertrauen braucht und zugleich zerstört.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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