Mistakes and retrial in criminal proceedings
Criminal Law
Final Report Abstract
Die Studie analysiert den Verfahrensgang von Wiederaufnahmeverfahren (WAV) in Strafsachen, die Chancen verurteilter Personen bei der Geltendmachung von Fehlern und die rechtlichen Reaktionen mit Wiederaufnahmeanträgen (WAAen). Dazu wurden die Akten von 512 erfolgreichen und nicht erfolgreichen WAV der Jahre 2013-2015 aus 14 Bundesländern bezogen und analysiert. In einer Interviewstudie mit Strafverteidiger*innen und Staatsanwält*innen im Vorfeld wurde zunächst erfragt, unter welchen Bedingungen WAAe überhaupt gestellt werden. Die Expert*innenbefragung erbrachte keine grundsätzliche Kritik an der gesetzlichen Regelung des WAVs, aber auch einige Vorschläge zur Verbesserung. Die hier zutage getretene Unterscheidung von Fällen, in denen die Täterschaft infrage gestellt wird, von solchen, in denen die Täterschaft unberührt bleibt (z.B. nicht erkannte Schuldunfähigkeit, fehlerhafte Gesamtstrafenbildung) reklamiert wird, floss in die nachfolgende Aktencodierung ein. Die quantitative Aktenanalyse von WAV nach rechtskräftigem Urteil erbrachte zwar eine leichte Häufung von Sexual- und Gewaltstraftaten gegenüber dem Kriminalitätshellfeld der polizeilichen Kriminalstatistik, gleichwohl machen auch hier Eigentum- und Vermögensdelikte die deutliche Mehrheit aus. Die WAA werden etwa zu gleichen Anteilen von der Verteidigung und der der Staatsanwaltschaft gestellt, wobei auch bei letzterer die WAAe zugunsten der verurteilten Person deutlich überwiegen. Der Anteil angenommener WAAe liegt insgesamt bei 44,7 % und erreicht bei Anträgen der Staatsanwaltschaft sogar 91,6 %. Endete das Ausgangsverfahren mit einem Strafbefehl, wurden fast zwei von drei WAAen angenommen, bei einem Urteil nur jeder sechste. Die hohe Gesamtquote angenommener WAA beeindruckt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein erheblicher Teil der WAA bereits daran scheitert, dass der Antrag unzulässig von verurteilten Personen selbst gestellt wurde. In knapp 40 % der WAV wurde vom WA-Gericht ein Fehler im Ausgangsverfahren festgestellt, darunter in mehr als 1/3 auf Ebene der Tatbestandserfüllung (zu je einem ¼ falsche Aussagen bzw. Personenverwechslungen), bei einem weiteren 1/3 auf Ebene der Schuld (fast ausschließlich Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB), und bei einem knappen 1/3 auf Ebene der Prozessvoraussetzungen bzw. der Rechtsfolgen (zu mehr als ½ fehlerhafte Gesamtstrafenbildung). Einer näheren Analyse wurden schließlich Fälle unerkannter Schuldfähigkeit, falscher Zeug*innenaussagen, Geständnisse bzw. Personenidentifikationen unterzogen. Hier zeigte sich u.a., dass insbesondere Fälle unerkannter Schuldunfähigkeit, bei überwiegend minderschweren Straftaten in großer Mehrheit im Strafbefehlsverfahren abgeurteilt worden waren, die unerkannte Schuldunfähigkeit in solchen Verfahren somit ein erhebliches Risiko für Fehlurteile hat. In weiteren Analysen sollen hier Lösungsansätze erarbeitet werden.
Publications
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Der Weg zur Wiederaufnahme – Eine Expertenbefragung zum Vorfeld von Wiederaufnahmeverfahren. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 105(2), 113-144.
Leve, Mona; Otzipka, Jana & Volbert, Renate
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Der Weg zur Wiederaufnahme – Eine Expertenbefragung zum Vorfeld von Wiederaufnahmeverfahren. Vortrag auf der Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft, Hannover, Deutschland.
Leve, M., Volbert, R. & Otzipka, J.
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Die unerkannte Schuldunfähigkeit im Strafprozess – Eine qualitative Aktenanalyse von Wiederaufnahmeverfahren. Vortrag auf der Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft, Hannover, Deutschland.
Otzipka, J., Volbert, R. & Leve, M.
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Festgestellte und behauptete Fehler im Wiederaufnahmeverfahren. Vortrag auf der Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft, Hannover, Deutschland.
Altenhain, K.
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Wiederaufnahmeverfahren in Deutschland – Erste Befunde einer quantitativen Aktenanalyse. Vortrag auf der Fachtagung der Kriminologischen Gesellschaft, Hannover, Deutschland.
Bliesener, T. & Neumann, M.
