Detailseite
Projekt Druckansicht

The Visceral Novel Reader: Die leibliche Erfahrung des Romanlesens in der britischen Kulturgeschichte, 1688-1927

Antragstellerin Dr. Monika Class
Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2019 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 422574378
 
Dieses Vorhaben ist in der interdisziplinären Erforschung emotionaler und affektiver Leseerfahrungen anzusiedeln. Leserinnen und Leser vermögen es, ihre sinnliche Vorstellungskraft inklusive ihrer vergangenen perzeptiven Erfahrungen so auf Romane zu übertragen, dass die erzählten Ereignisse, Figuren und Schauplätze zum Leben erwachen. In diesem Projekt ist der erlebte und gespürte Körper, den die Phänomenologie als „Leib“ im Unterschied zum vergegenständlichten „Körper“ bezeichnet, der Ausgangspunkt der leserorientierten Ermittlung. Letztere geht zudem davon aus, dass unsere fünf Sinne als Medium der Orientierung in der Welt der Erfahrungen unseren Leib konstituieren (Merleau-Ponty, 2012). Somit sind gerade sinnliche Leseerfahrungen in besonderem Maße leiblich („embodied“). Diese epochenübergreifende Studie untersucht Leseerfahrungen von englischen Romanen von der Restauration bis zum literarischen Modernismus. Der Korpus besteht aus insgesamt zehn einflussreichen Romanen von Oroonoko bis To the Lighthouse. Das Projekt entwickelt eine Theorie über die Leseerfahrungen in ihrem jeweiligen historischen Umfeld zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung der Romane. Als Ausgangshypothese wird angenommen, dass in der britischen Kulturgeschichte eine Korrelation besteht zwischen der Anerkennung leiblicher Leseerfahrungen und dem Aufstieg des britischen Romans zu gesellschaftlichem und literarischem Ansehen im Viktorianismus, und zur verbalen Kunst im Modernismus. Die Originalität des Vorhabens besteht darin, ein komplexes, kontext-sensitives Lesermodell, „The visceral novel reader“ genannt, zu entwickeln, das Paul Ricoeurs dreifache Mimesis von Prä-, Kon-, und Refiguration ausbaut (1984): Das Modell integriert performative wie diskursanalytische Ansätze und erstellt eine Taxonomie von Leseerfahrungen. Um sich der diachronen Entwicklung leiblicher Leseerfahrungen zu nähern, welche bislang in der Forschung so noch nicht bearbeitet wurde, bedarf es einer Aufarbeitung der Romane in mehreren Stufen, nämlich auf der Ebene der Konfiguration der Erzählstrukturen, der Intermedialität und des Paratexts sowie ihrer jeweiligen Korrelate auf den Ebenen der Präfiguration (der Leib, die Sinnes- und Mediengeschichte, die Disziplinierung des Körpers in der Medizingeschichte) und der Refiguration (das narrative, intermediale und paratextuelle Evozieren von Leseerfahrungen). Dadurch verspricht dieses Lesermodell, sowohl der blutleeren Rezeptionsästhetik von Iser und Jauß Leiblichkeit zu verleihen als auch in die aktuelle Debatte über die Begrenzung literatur- und kulturwissenschaftlicher Lesarten auf Entmystifizierung konstruktiv zu intervenieren (Felski 2003, 2008, 2015).
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung