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Verwaltungskulturen. Das Reichsinnenministerium, das Bundesinnenministerium und das Innenministerium der DDR zwischen Kontinuität und politischer Systemabhängigkeit 1919-1975

Antragsteller Dr. Frieder Günther
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Grundlagen des Rechts und der Rechtswissenschaft
Förderung Förderung von 2019 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 427214888
 
Erstellungsjahr 2023

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Welche Kontinuitäten bestanden zwischen der staatlichen Verwaltung der Weimarer Republik, des NS-Staats, der Bundesrepublik und der DDR – und wie unterschieden sie sich? Das Forschungsprojekt gibt differenzierte Antworten auf diese Fragen, indem es speziell die Verwaltungskultur der zentralstaatlichen Innenministerien zwischen 1919 und 1975 in den Mittelpunkt der Untersuchung stellt. Die größten Übereinstimmungen bestanden zwischen dem Reichsinnenministerium der Weimarer Republik und dem Bundesinnenministerium. In beiden Ministerien mussten Entscheidungsprozesse unbedingt schriftlich festgehalten werden. Auch spielten die Hierarchie und die Weisungsbefugnis von oben nach unten eine zentrale Rolle. Zugleich wurde aber dem einzelnen Referenten aufgrund seiner Expertise auch eine weitreichende Sachentscheidungskompetenz zugestanden. Die Verwaltungskultur der beiden Innenministerien war zivil geprägt und orientierte sich primär an der Rechtsnorm und am geordneten Verfahren. Das Ministerium des Innern der DDR wollte hingegen mit der bürgerlich-rechtsstaatlichen Verwaltungstradition, auf die sich die Innenministerien der Weimarer Republik und der Bundesrepublik explizit beriefen, auf radikale Weise brechen. Dementsprechend setzte man hier verstärkt auf mündliche und teilweise geheime Entscheidungsverfahren. Außerdem verband das Ministerium des Innern der DDR die stark ausgeprägte Hierarchie mit einer Praxis der Erziehung, Anleitung, Kontrolle und Überwachung der Untergebenen. Die Verwaltungskultur des Innenministeriums der DDR war in hohem Maße im Sinne der SED politisiert und besaß einen militärischen, mobilisierten und kämpfenden Charakter. Gegenüber dem Reichsinnenministerium der Weimarer Republik und dem Bundesinnenministerium einerseits und dem Innenministerium der DDR andererseits nahm das Reichsinnenministerium in der Zeit des Nationalsozialismus eine Zwischenstellung ein. Es folgte dem Verlangen des Regimes auf eine weitgehende Politisierung und Radikalisierung seiner Arbeit, verstand sich ähnlich wie das MdI als eine kämpfende Instanz – in diesem Fall für die Durchsetzung der völkisch-rassistischen Ideale des Regimes –, besaß aber nur teilweise einen militärischen Charakter. Mündliche Entscheidungsverfahren, eine ausgeprägte Hierarchie und die Geheimhaltung spielten bei Entscheidungsprozessen eine zunehmende Rolle, aber anders als im Ministerium des Innern der DDR ließ das Reichsinnenministerium ab 1933 traditionelle Verfahren viel häufiger bestehen, wo dies dem Regime nützlich erschien. Kontinuitäten bei der Verwaltungskultur bewirkten in der Weimarer Republik, in der Bundesrepublik und teilweise auch in der Zeit des Nationalsozialismus, dass sich die Mitarbeiter, die überwiegend aus dem vorigen politischen System stammten, mit der neuen Ordnung arrangieren konnten. Verwaltungsroutinen wirkten also als Katalysatoren zur Systemstabilisierung, während in der DDR der Wegfall solcher Routinen das Gefühl des politischen Neubeginns weiter verstärkte.

 
 

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